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An M. E.

[Ansichtskarte. Prag, Stempel: 11. X. 1921]
 


Der Faulenzer und die Arbeiterin


Liebe Minze, lange war ich untergetaucht, habe einfach Ihr schönes Bildchen mit Freude eingesteckt, zwei Karten und den Brief gelesen, als säßen Sie vor dem Kanapee und erzählten mir, und im übrigen habe ich mich mit einigen aufregenden, erschöpfenden Besuchen beschäftigt, war hie und da auch im Bett, hatte keinen Augenblick Zeit, sei es infolge von Beschäftigung, sei es infolge Müdigkeit, und wußte allerdings auch, dass es zwischen uns nicht entscheidet, ob ich heute oder morgen schreibe, denn wir werden nicht nervös, wenn einer einmal nicht schreibt, jeder weiß doch vom andern, ein wie eisern fester Mensch er ist. - Aus der holländischen Reise wird nichts? Schade, schade. - Ich bleibe noch ein wenig in Prag. Herzlichste Grüße auch den Freundinnen

Ihr K


Meiner Schwester (die Sie herzlich grüßen läßt) Adresse:

Ottilie David Prag Altstädter Ring 6




Der Faulenzer und die Arbeiterin: Die Ansicht zeigt die Reproduktion einer Zeichnung von Ales betitelt "Podzim" (Der Herbst). In regnerischer Feldlandschaft treibt eine Bäuerin Gänse heim, ein kleiner Junge läßt einen Drachen steigen, die Bildsäule des heiligen Wenzel mit Fahne sieht vom Feldrain aus zu. Kafkas Aufschrift gibt eine humoristische Deutung - sei es nun, dass mit dem "Faulenzer" der Junge oder der heilige Wenzel gemeint ist.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at