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Herrn
Robert Klopstock
Tatranské-Matliary
pošta Tatranská Lomnica
Slovensko

Dr Kafka Praha
Staromèstské námìstí
6

[Postkarte. Prag, Stempel: 7. IX. [19]21]
 

Lieber Robert, wie ist denn das; ich hätte gar
nicht geschrieben? 2 Briefe und eine Karte, es
kann doch nicht alles verloren sein
. In dem
einen Brief schrieb
[ich] von Prof Münzer,zu dem
ich einen guten Weg gefunden habe und ich
fragte, wann ich anfangen soll etwas zu tun
und in welcher Richtung und mit welchen
Dokumenten - Ich bin müde und schwach
und alle sind hier stark und frisch. Eben
ist Ernst Weiß hiergewesen
, gar nicht böse,
freundlich, und auch im Ganzen sanfter


als sonst. Er erhält sich
sichtbar nur durch
seinen Willen gesund
und sehr gesund.
Wenn er wollte, könnte eb er ebenso krank
sein, wie nur irgend-
jemand sonst.
Viele Grüße

K


Original: Inlibris Verlag
Quelle Text: Briefe 1902 - 1924, S. 351; Kafkas letzter Freund, S. 12
Quelle Anmerkungen: Kafkas letzter Freund, S. 12 - 13

Eigenh. Postkarte mit U. 2 Seiten (29 Zeilen in Tinte). Mit eh. Adresse und eh. Absender. Mit schwacher vertikaler Knickspur. 8vo (9:13,8) cm
Es kann doch nicht alles verloren sein: Zumindest eines der hier von Kafka verloren geglaubten Schreiben dürfte lediglich verspätet zugestellt worden sein, da jener Brief, auf den sich die Zusammenfassung "schrieb [ich] Prof Münzer" bezieht, überliefert ist. Im ersten erhalten gebliebenen Brief an Klopstock nach seiner Rückkehr aus Matliary schildert Kafka unterm 2. September (dat. nach Br) seine Fahrt nach Prag und teilt ihm mit, daß er "durch Verwandte eine sehr gute Verbindung mit Professor Münzer habe. Wenn überhaupt die Möglichkeit einer derartigen Anstellung besteht, wird sie für Sie zu erreichen sein, gar wenn man es rechtzeitig - also z. B. jetzt für Feber - vorzubereiten anfängt. Schicken Sie mir nur irgendwelche Dokumente, den Brief des Professors udgl."
In dem einen Brief schrieb [ich] von Prof Münzer, zu dem ich einen guten Weg gefunden habe und ich fragte, wann ich anfangen soll etwas zu tun und in welcher Richtung und mit welchen Dokumenten: Fehlt in Br. - Nachdem Kafka sich vergeblich darum bemüht hatte, Klopstock eine Stelle in Jakob Hegners Druckerei in Hellerau zu verschaffen, versuchte er ihm durch einen ihm entfernt bekannten Arzt eine Stelle in Prag zu verschaffen, da Klopstock, der sich abwechselnd in Ungarn und Matliary aufhielt, aus mehreren Gründen daran interessiert war, in Prag zu studieren. Obgleich Kafka ihm anfangs noch sehr persönlich gefärbte Bedenken mitteilte, gediehen Klopstocks Pläne weiter, und Kafka unternahm in der Folge mehrere, tls auch erfolgreiche Versuche, Klopstock beim Beschaffen eines Passes, einer Aufenthaltserlaubnis, einer Unterkunft u. a. behilflich zu sein. Im Mai 1922 schließlich immatrikulierte Klopstock an der Deutschen Universität Prag, wohnt vorübergehend im Hause von Kafka bzw. von dessen Eltern am Altstädter Ring und findet später Quartier in der Bolzanogasse 7/III/12 (vgl. Nr. 19; eine Abbildung von Klopstocks "Nationale" (Personalakte) an der Karlsuniversität findet sich in KLJ 83).
Prof Münzer: Die Verbindung zu Egmont Münzer (1865-1924), seit 1907 a.o. Professor an der Deutschen Universität Prag, war, wie Kafka in einem im Dezember des Jahres verfaßten Brief an Klopstock schreibt, durch seinen Cousin Robert (1881-1922) zustande gekommen, der mit Münzer durch seine Frau verwandt ist" (Nr. 11). Der Zweitälteste Sohn von Filip Kafka (1846-1914) - dem Onkel väterlicherseits -, der nach seiner Promotion eine Advokatur in Kolin, später in Prag geführt hatte, war seit Juli 1916 mit Elsa Robicek verheiratet (vgl, WKC 132; zu Robert Kafka KM 66f. sowie hier Nr. 10,11 und 13). - Der Internist Egmont Münzer selbst, der überwiegend mit neurologischen Studien beschäftigt und nebenbei auch auf dem Gebiet der Stoffwechsel- und Gefäßpathologie tätig war, entdeckte zusammen mit Jakob Singer (1853-1926) u. a. den Aufbau der Hinterstränge des Rückenmarks aus den hinteren Wurzeln. Ihm zu Ehren wurde eine Stiftung seines Namens errichtet. Vgl. auch Nr. 3,8, 11, 13,25 und 29.
Eben ist Ernst Weiss hiergewesen: in Br: Eben ist Ernst Weiß hier gewesen - Der aus Brunn (Mähren) stammende Arzt und Schriftsteller Ernst Weiß (1882-1940) war seit 1913 mit Kafka befreundet. Er war es, der Kafka nachdrücklich von einer Ehe mit Felice Bauer (1887-1960) abriet. Gemeinsam mit ihm, "F.s Feind" - wie er ihn in einem Brief an Felices Freundin Grete Bloch (1892-1944) vom 18. V. 1914 nennt (BF 579) , und dessen Freundin, der Tänzerin und Schauspielerin Rahel Sanzara (1894-1936), verbringt Kafka nach der gelösten Verlobung mit Felice einige Tage im dänischen Ostseebad Marielyst, wo sie gemeinsam an der Korrektur von Weiß' Roman "Der Kampf" arbeiten (vgl. WKC 119). Nachdem Franz und Felice Ende Oktober/Anfang November einander wieder nähergekommen waren, notiert Kafka unterm 24. Jänner 1915 am Ende einer langen Eintragung über seine Beziehung zu Felice: "Diese Gruppe: Dr. Weiß sucht mich zu überzeugen, daß F. hassenswert ist, F. sucht mich zu überzeugen, dass auch W. hassenswert ist. Ich glaube beiden und liebe beide oder strebe danach" (TKA I 724).

Letzte Änderung: 9.10.2010werner.haas@univie.ac.at