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Max Brod an Franz Kafka


[Prag]

4. Juli [1921]
 

Liebster Franz,

Dank für heute eingelangten Brief. - Ich glaube dir gern, dass du dem Büro ausweichen willst. Und trotzdem möchte ich dir raten, nach Prag zu kommen und dich in der Anstalt zu zeigen. Ich hörte aus den Worten der Ottla, bei der ich vorgestern war, so etwas heraus. Man würde es gern sehen, wenn du dich wieder einmal vom Anstaltsarzt untersuchen ließest. Nicht als ob etwa ein weiterer Urlaub zweifelhaft wäre. Im Gegenteil, je deutlicher eine gewisse Besserung zu merken sein wird, um so lieber wird man dir Herbst und Winter zur endgültigen Genesung freigeben. Aber ich habe das Gefühl (nach dem, was Ottla sagte), dass der Direktor durch ein Zeugnis des Anstaltsarztes sich sehr entlastet fühlen würde, insbesondere durch eines, das den Fall als aussichtsreich darstellt. Ottla wollte dir selbst darüber schreiben, tut es auch gewiß. Die Sache ist weiter nicht dringend und nicht eilig, sonst hätte dir Ottla schon längst geschrieben, denn diesen Eindruck von ihrer letzten Zusammenkunft mit dem Direktor trägt sie schon ziemlich lange bei sich herum, ohne ihn wichtig zu nehmen. - Es ist vielleicht nur mein eigener, nicht abzugewöhnender, in meinem neuen bequemen Posten vielmehr erst voll erblühter Bürokratismus (dh. Wichtignehmen des Chefs und jedes seiner Worte), der mich dir diesen Rat erteilen läßt.

    Egoismus (ich gestehe es offen) spielt mit. Ich möchte dich gerne wieder sehen, dir meinen (fertigen) Roman vorlesen. Wenn du Anfang oder Mitte August kämest, wäre es die beste Zeit für mich, da bin ich von der Ostsee heim. - Auf deine Ostseefahrt würde ich nicht verzichten. Aber wenn du mit dem strikten Verbot des Doktors kommst -! Ist es auch ganz wahr?? Ich fahre am 13. Juli hier ab, voraussichtlich. Du kannst es dir also nochmals überlegen. Meine Freude wäre riesenhaft. -

    Endlich finde ich, dass du in T. Matl. dich etwas verzärtelst, verwöhnst. Gerade dadurch dass du so lange dort bist, wird dein Gehör auf alle Geräusche des Ortes gleichsam abgestimmt. - Du mußt wieder einmal ein anderes Stück Welt sehen. Die Gründe, die du gegen Taus (Ottla) anführst, kann ich nicht ganz ernst nehmen. Es sei denn, dass wieder der Arzt es ist, der es verbietet . . .

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    "Literatur" von Kraus habe ich nicht gesehen. Ist es wahr, dass auch über mich etwas darin enthalten ist? Ich hörte so etwas, habe mich aber bisher nicht darum gekümmert. Es wird mir immer so eng in der Brust, wenn ich diesen Haß gegen alles Mitlebende, diese Lüge der Selbstüberhebung bei Kraus lese. Ich kann dann zwei Tage nachher nicht aus dem Ärger heraus. Also eine starke Wirkung, zugegeben. - Alles Polemische in mir erwacht. Dann merke ich: es ist ein Nebengeleise. Und die Wut ist doppelt so groß. - Ich gebe aber zu, dass dies alles (diese Wirkung) nicht gegen ihn spricht, vielleicht eher gegen mich.-

    Die "Selbstwehr" habe ich für dich reklamiert, auch für deinen Arzt. Felix ist in Hamburg, wo sein Bruder Willy heiratet. Indessen redigiere ich die "Selbstwehr". Frau Irma ist braver Weise in Schelesen geblieben. Es ist rätselhaft, wie gut Felix in der letzten Zeit auf sie zu sprechen war. Dabei hat er es vorausgewußt, dass die Sommerwohnung gut wirken wird. - Ich komme immer mehr dazu, die Menschen als erotische Maschinerie zu sehen. Baum ist in Schloß Býchor, von Frau Tauber geladen. Samt Familie natürlich. Fährt dann nach Röhrsdorf bei Haida. Meine Frau war 5 Wochen in Franzensbad und ist eben heimgekehrt. Nun soll ich also fahren. In den letzten 10 Tagen habe ich außer einem lakonischen Telegramm keine Nachricht aus Leipzig, was mich beunruhigt. Meinen Zustand beurteile daraus, dass ich gestern ein Telegramm um 135 K aufgegeben habe. Ich habe zu viel auf diese eine Karte gesetzt, das fühle ich wohl. - Und selbst wenn es gelingen sollte, wenn sie genau von Leipzig nach Berlin fahren sollte, sobald ich von Prag hin fahre (in Leipzig können wir einander nicht treffen, sie fürchtet ihre Hakenkreuz-Bekanntschaft), kurz: selbst wenn all das Unwahrscheinliche klappen sollte, um dessentwillen ich nun 3 oder 4 Monate lang fieberhaft gearbeitet habe - ich fühle, dass das Spiel zu hoch geht und dass meine Nerven so ziemlich kaput sind. - Indessen habe ich die Sache so weit getrieben, dass ich das Weitere eben ertragen muß.

Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Roman: Franzi.


Taus: Domažlice (Böhmerwald). Ottla hatte ihrem Bruder vorgeschlagen, er solle einige Zeit dort mit ihr gemeinsam verbringen (siehe O 126f. und 128f.).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at