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[Prag]

24.5.[1921] Dienstag
 

Liebster Franz,

Meinem Versprechen gemäß und obwohl ich infolge deines dauernden Stillschweigens nicht weiß, ob du noch Wert darauf legst - (aber in deinem vorletzten Brief hast du es ja von mir verlangt) - teile ich dir mit, dass heute Frau M. bei mir war. Sie ist mit ihrem Vater fast ganz versöhnt, jedenfalls wohnt sie bei ihm und er redet mit ihr. Er verlangt, dass sie in ein tschechisches Sanatorium geht. Andere läßt er nicht zu. (Sie sieht übrigens nicht schlecht aus.) Nun sagt sie mir, dass sie sich gegen die Tatra wehrt. In Betracht käme Strba; sie kann keine rechten Gegenargumente vorbringen. Will aber keinesfalls hin, sondern nach Spičák im Böhmerwald. Für Abbazia und den Süden ist die Saison versäumt. Sie bleibt noch eine Woche hier. Und ich habe mit ihr verabredet, Samstag Nachmittag im Café "Goldene Gans" zusammenzutreffen. Da wird sie das Resultat wissen. - Ein wenig unwohl fühle ich mich ja in dieser Rolle eines Beobachtungspostens. Aber was würde ich dir zu Liebe nicht tun? Du darfst überdies nicht denken, dass ich etwas gar Arges darin sehe. Denn erstens sagte sie mir (vielleicht direkt mit dem Ziel, es dir zu schreiben - obwohl davon keine Rede war): dass sie sich in letzter Zeit glücklich fühlt, weil du ihr auf ihren letzten Brief, den sie mir sofort gestand, so unfreundlich geantwortet hättest - statt ein paar Zeilen über Fiebertemperatur etc. etwas "Überflüssiges" (ich wiederhole ihre Worte) - damals habe sie sich wirklich elend gefühlt, aber dieses "Überflüssige" hätte ihr sozusagen gezeigt, dass es auf diese Art nicht mehr weitergehe. Zweitens: sie sprach nichts als Geheimnis, dh. als etwas, was geheimzuhalten wäre, sondern sie hätte sogar vor meiner Frau über dich weitergesprochen, wenn ich ihr nicht schnell gesagt hätte, dass Elsa nichts von der Sache weiß. -

    Ich werde dir also Samstag Nachts (weil ich dann noch Theater am Abend habe) telegraphieren. Erschrick nicht über die Depesche. Werde dir telegraphieren, wohin M. fährt, - falls bis dahin nicht gegenteilige Ordre von dir kommt.

    Du kannst mir in den nächsten 14 Tagen, da meine Frau nicht hier ist (fährt morgen Franzensbad) an folgende Adresse schreiben

    Dr Max Brod

    Praha - Hrad

    Tiskový Odbor presidia mimst. rady

Ich werde aber auch auf der Post nachschauen, da ich mich schon sehr nach ein paar Zeilen von dir sehne.

    M. hat im Ganzen (vielleicht deshalb, weil mein Kopf und Herz von einem ganz andern, ganz weichen Frauentyp voll ist) keinen guten Eindruck auf mich gemacht. - Diese Urteile ins Gesicht klingen alle so wahr und doch schmeckt man das Falsche darin. Ich hab das nicht gern. - Außerdem ist sie eine solche Feindin meiner Frau. Davon hast du mir, glaube ich, nichts erzählt. Wegen einer Sache mit Lisl Beer, für die aber, wie M. sagt, meine Frau nicht kann. Sie hasse sie instinktiv. Und dieser Stolz auf die Instinkte kommt mir, da er sich ganz unliterarisch gibt, gerade deshalb so literarisch vor.-Vielleicht tue ich ihr Unrecht. Ich sprach sie ja nur kurz. Erst Samstag werde ich ein Bild haben. - Seltsam berührte mich, dass sie so von Stascha schwärmte, während du sie als abgekühlt darstelltest. - Und nicht schön, dass sie alle Jüdinnen als "unglücklich, unglückbringend, totgeweiht" ansieht. Und ähnlich Hochmütiges mehr . . .

Wenn du schreibst, - bitte auch über dein körperliches Befinden!!!

Dein Max        


Ich sandte dir gestern "Prager Presse", eine Sonntagsnummer und Ausschnitte, die Oskar mir gab.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Strba: Siehe Kafkas Antwortbrief.


Spičák: Spitzberg. Kafka schreibt später an Ottla, ohne Milena zu nennen (O 127): "jemand ist, um nicht in meiner Nähe zu sein, statt in die Tatra auf den Špičák gefahren . . ." Vgl. Anm. 76 unten.


Lisl Beer: Eine Bekannte Ernst Pollaks.


Stascha: Zu dieser Freundin Milenas, Staša Jílovska, siehe M passim.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at