Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

Brief an Max Brod

[Matliary, zweite Januarhälfte 1921]


Liebster Max, noch eine Nachtrag, damit Du siehst, wie der "Feind" vorgeht, es sind ja gewiß innere Gesetze, aber es sieht fast wie nach äußeren Gesetzen eingerichtet aus. Vielleicht verstehst Du als körperlich Unbeteiligter es besser.

    Ich hatte das Balkon-Unglück bei weitem nicht überwunden, der obere Balkon ist zwar jetzt still, aber meine angstgeschärften Ohren hören jetzt alles, hören sogar den Zahntechniker, obwohl er durch 4 Fenster und 1 Stockwerk von mir getrennt ist.


[hier folgt eine Skizze der Zimmeranordnung mit Erläuterungen; siehe Abb.]


und wenn er auch eine Jude ist, bescheiden grüßt und gewiß keine bösen Absichten hat, ist er für mich durchaus der "fremde Teufel". Seine Stimme macht mir Herzbeschwerden, sie ist matt, schwer beweglich, eigentlich leise, aber dringt durch Mauern. Wie ich sagte, ich muß mich erst davon erholen, vorläufig stört mich noch alles, fast scheint es mir manchmal, dass es das Leben ist, das mich stört; wie könnte mich deun sonst alles stören?

    Und nun geschah gestern folgendes: Es ist hier außer einem Kranken, den ich noch nie gesehen habe, nar eine Bettlägeriger, ein Tscheche, wohnt unter meinem Balkon, hat Lungen- und Kehlkopftuberkulose (eine der andern Varianten neben "Leben oder Tod"), fühlt sich durch seine Krankheit und weil außer ihm nur 2 Tschechen hier sind, die sich aber nicht um ihn kümmern, vereinsamt; ich habe ihn nur flüchtig zweimal auf dem Gang gesprochen und er ließ mich durch das Stubenmädchen bitten, ihn einmal zu besuchen, eine freundlicher stiller etwa fünfzigjähriger Mann, Vater zweier erwachsener Jungen. Ich ging knapp vor dem Nachtmahl zu ihm, um es kurz abzutun, und er bat mich, auch nach dem Nachtmahl für ein Weilchen noch zu kommen. Dann erzählte er mir von seiner Krankheit, zeigte mir den kleinen Spiegel, mit dem er, wenn Sonne ist, tief in der Kehle hantieren muß, um die Geschwüre zu belichten, dann den großen Spiegel, mit dem er sich selbst in die Kehle schaut, um den kleinen Spiegel richtig stellen zu können, dann zeigte er mir eine Zeichnung der Geschwüre, die übrigens zum erstenmal vor 3 Monaten aufgetreten sind, dann erzählte er kurz von seiner Familie, und dass er schon eine Woche ohne Nachricht und deshalb besorgt sei. Ich hörte zu, fragte hie und da, mußte den Spiegel und die Zeichnung in die Hand nehmen, "näher zum Auge" sagte er, als ich den Spiegel weit von mir hielt, und schließlich, es war kein besonderer Übergang, fragte ich mich (ich batte schon früher manchmal solche Anfälle, immer fängt es mit dieser Frage are) "wie wäre es, wenn Du jetzt ohnmächtig würdest" und schon sah ich die Ohnmacht wie eine Welle über mich herkommen. Das Bewußtsein hielt ich, so glaube ich wenigstens, noch beim letzten Ende fest, aber wie ich ohne Hilfe aus dem Zimmer kommen sollte, war mir unvorstellbar. Ob er noch etwas gesprochen hat, weiß ich nicht, für mich war es still. Schließlich faßte ich mich, sagte etwas von einem schönen Abend, was eine Erklärung dafür sein sollte, dass ich auf seinen Balkon hinausschwankte und dort in der Kälte auf dem Geländer sitzen blieb. Ich kam dort so weit, dass ich sagen konnte, mir sei ein wenig schlecht, und ohne Gruß aus dem Zimmer gehen konnte. Mit Hilfe der Korridorwände und eines Sessels im Zwischenstock kam ich in mein Zimmer.

    Ich hatte dem Mann etwas Gutes tun wollen und hatte etwas sehr Schlechtes getan; wie ich früh hörte, hat er meinetwegen die ganze Nacht nicht geschlafen. Trotzdem kann ich mir keine Vorwürfe machen, vielmehr verstehe ich nicht, warum nicht jeder ohnmächtig wird. Was man dort in dem Bett sieht, ist ja viel schlimmer als eine Hinrichtung, ja selbst als eine Folterung. Die Folterungen haben wir ja nicht selbst erfunden, sondern den Krankheiten abgeschaut, aber so wie sie wagt doch kein Mensch zu foltern, hier wird jahrelang gefoltert, mit Kunstpausen, damit es nicht zu schnell geht und - das Besonderste - der Gefolterte wird selbst gezwungen, aus eigenem Willen, aus seinem armen Innern heraus, die Folterung in die Länge zu ziehn. Dieses ganze elende Leben im Bett, das Fiebern, die Atemnot, das Medizineinnehmen, das quälende und gefährliche (er kann sich durch eine kleine Ungeschicklichkeit leicht verbrennen) Spiegeln hat keinen andern Zweck, als durch Verlangsamung des Wachsens der Geschwüre, an denen er schließlich ersticken muß, eben dieses elende Leben, das Fiebern u. s. w. möglichst lange fortsetzen zu können. Und die Verwandten und die Ärzte und die Besucher haben sich förmlich über diesem nicht brennenden, aber langsam glühenden Scheiterhaufen Gerüste gebaut, um ohne Gefahr der Ansteckung den Gefolterten besuchen, abkühlen, trösten, zu weiterem Elend aufmuntern zu können. Und in ihrem Zimmer waschen sie sich dann voll Schrecken, wie ich.Ich habe allerdings auch kaum geschlafen, aber ich hatte zwei Tröster. Erstens starke Herzschmerzen, wodurch ich an einen andern Folterer erinnert wurde, der aber viel milder, weil viel schneller ist. Und dann hatte ich unter einer Menge Träume zum Schluß diesen: Links von mir saß ein Kind im Hemdchen (es war, wenigstens nach meiner Traumerinnerung nicht ganz sicher, ob es mein eigenes war, aber das störte mich nicht), rechts Milena, beide drückten sich an mich und ich erzählte ihnen eine Geschichte von meiner Brieftasche, sie war mir verlorengegangen, ich hatte sie wiedergefunden, hatte sie aber noch nicht wieder aufgemacht und wußte also nicht, ob noch das Geld darin war. Aber selbst wenn es verloren war, das machte nichts, wenn ich nur die zwei bei mir hatte. - Nachfühlen kann ich jetzt das Glück, das ich gegen Morgen hatte, natürlich nicht mehr..Das war der Traum, die Wirklichkeit aber ist, dass ich vor 3 Wochen (nach vielen ähnlichen Briefen, dieser aber war entsprechend der äußersten Notwendigkeit, die ein Ende für mich jetzt hatte und noch hat und noch haben wird, der entschiedenste) nur um eine Gnade bat: nicht mehr zu schreiben und zu verhindern, dass wir einander jemals sehn.

__________


    Übrigens habe ich auch diese Woche an Gewicht zugenommen, im Ganzen in 4 Wochen 3 kg 40. Grüß Felix und Oskar, bitte. Ist etwas aus Oskars sizilianischer Reise geworden? Und was machen beide? Ruth?

__________


    Bei nicht sehr gutem Licht auf dem Balkon am Abend:

Der Brief lag ein paar Tage, vielleicht weil ich noch eintragen wollte, was nächstens "geschehen" würde. Es war nichts allzu Schlimmes.Nach Deinem heutigen Brief schäme ich mich sehr wegen dessen, was ich über Dich und das Mädchen gesagt habe. Wäre ich verheiratet und hätte ich meiner Frau etwas Gleichwertiges getan, würde ich, übertrieben ausgedrückt (aber nicht übertriebener als es die Prämisse ist), würde ich in den Winkel gehn und mich umbringen. Du verzeihst mir aber so sehr, dass Du es gar nicht erwähnst. Freilich hast Du in dem vorvorigen Brief allzu allgemein geschrieben, aber ich hätte die Allgemeinheiten anders durchblicken müssen, als ich es getan habe. Trotzdem, mein Grundgefühl demgegenüber ist nicht anders geworden, nur ist es nicht mehr so dumm-leicht beweisbar.Vielleicht komme ich dem näher, wenn ich von mir spreche. Ich habe Deinen Brief nicht bei der Hand (und um ihn zu holen, müßte ich aus der schweren Verpackung hinauskriechen), aber ich glaube, Du sagst, wenn mir das Nach-Vollkommenheit-Streben das Erreichen der Frau unmöglich macht, müßte es mir ebenso auch alles andere unmöglich machen, das Essen, das Bureau u. s. w.

    Das ist richtig. Zwar ist das Vollkommenheitsstreben nur ein kleiner Teil meines großen gordischen Knotens, aber hier ist jeder Teil auch das Ganze und darum ist es richtig, was Du sagst. Aber diese Unmöglichkeit besteht auch tatsächlich, diese Unmöglichkeit des Essens u. s. w., nur dass sie nicht so grob auffallend ist wie die Unmöglichkeit des Heiratens.

    Vergleichen wir einander in diesem: Beide haben wir ein Hindernis der Körperlichkeit. Du hast es herrlich überwunden. Als ich daran dachte, übten drüben auf dem Abhang Skiläufer, nicht die gewöhnlichen, die man hier sieht, Gäste aus dem Hotel oder Soldaten aus den nahen Baracken, sie sind ja schon imponierend genug, dieses ernste glatte Wandern auf der Landstraße, das Hinabgleiten von oben, das Hinaufmarschieren. von unten, diesmal aber waren drei Fremde aus Lomnitz gekommen, sie sind wahrscheinlich auch noch keine Künstler, aber was konnten die! Ein Langer ging voraus, zwei Kleinere folgten. Es gab für sie keine Abhänge, keine Gräben, keine Böschungen, sie strichen über die Gegend, so wie Du über das Papier schreibst. Hinunter ging es zwar viel schneller, das war eben ein Rasen, aber auch den Abhang hinauf war es zumindest ein Fliegen. Und was sie beim Hinabfahren zeigten, ich weiß nicht, ob es schon wirklich der große Telemark-Schwung war (nennt man es so?), aber es war traumhaft, so gleitet der gesunde Mensch aus Wachen in Schlaf. Eine Viertelstunde etwa ging das so, fast schweigend (daher zum Teil meine Liebe), dann waren sie wieder auf der Landstraße und - man kann es nicht anders ausdrücken - stießen gegen Lomnitz hinunter.

    Ich sah ihnen zu und dachte an Dich, so hast Du das Hindernis Deiner Körperlichkeit überwunden.

__________


    Ich dagegen - wollte ich weiter schreiben. Aber nun kamen einige sehr schlechte Nächte, die ersten zwei aus zufälligen, vorübergehenden Ein-Nacht-Ursachen, die übrigen durch einen Abszeß, der mir mitten im Kreuz sitzt und mich bei Tag nicht liegen, bei Nacht nicht schlafen läßt. Es sind Kleinigkeiten und wenn nicht weitere von solcher Art kommen, werde ich den Schaden leicht wieder gut machen, ich erwähne es nur, um zu zeigen, dass, wenn es einen Irgendjemand gibt, der meine Gewichtsund Kraftzunahme verhindern will (bisher habe ich übrigens nur Gewichtszunahme bemerkt, 4 kg 20 in 5 Wochen), er fest auf mir im Sattel sitzt.

    Die weiteren Vergleiche lasse ich heute, Max, ich bin zu müde, es ist auch zu umständlich, das Material ist so ungeheuer groß geworden im Lauf der Zeit und so wenig konzentriert, dass man notwendigerweise geschwätzig werden müßte,wenn man es wieder vornimmt.

__________


    Ob Du kommen sollst? Natürlich sollst Du kommen, wenn es ohne große Mühe möglich ist, aber ich sehe dafür keine Möglichkeit, es wäre denn, dass Du eine slowakische Reise machst. Aus Deinem Brief scheint hervorzugehn, dass Du es mit der Berliner Reise verbinden willst, über Oderberg etwa, nein, das wäre zu viel Mühe, das tue keinesfalls, auch meinetwegen nicht, das würde mir zuviel Verantwortung auferlegen. Oder könntest Du länger als 3 Tage bleiben, als Erholung für Dich?

__________


    Fast möchte ich wieder von dem Vorigen zu reden anfangen, so kocht die Geschwätzigkeit. Du unterstreichst "Angst wovor", Vor so vielen, aber auf der irdischen Ebene vor allem Angst davor, dass ich nicht hinreiche, körperlich nicht, geistig nicht, die Last eines fremden Menschen zu tragen; so lange wir fast eins sind, ist es bloß eine suchende Angst "wie? wir sollten wirklich fast eins sein?" und dann wenn diese Angst ihre Arbeit getan hat, wird es eine bis in die letzte Tiefe überzeugte, unwiderlegbare, unerträgliche Angst. Nein, heute nichts mehr davon, es ist zuviel.Du erwähnst Briefe von Dehmel, ich kenne nur die aus dem Dezemberheft, halbmenschhafte, ehemännische.Ich muß noch darauf zurückkommen. Du schreibst: "Warum vor der Liebe mehr Angst haben als vor andern Angelegenheiten des Lebens?" und gleich vorher "In der Liebe habe ich das Intermittierend-Göttliche am ehesten, am häufigsten erlebt", Diese beiden Sätze zusammengenommen sind so, wie wenn Du sagen wolltest: "Warurn nicht vor jedem Dornbusch die gleiche Angst haben wie vor dem brennenden?"Es ist ja so, wie wenn meine Lebensaufgabe darin bestanden hätte, ein Haus in Besitz zu nehmen. - Auch das bleibt ohne Abschluß, ein paar Tage war Pause, Müdigkeit, leichtes Fieber (wahrscheinlich vom Abszeß), rasender Schneesturm draußen, jetzt ist es besser, wiewohl heute abend eine neue Störung aufgetaucht ist, hoffentlich so unbedeutend, dass ich sie durch bloßes Registrieren unterdrücke, eine neue Tischnachbariii, ein älteres Fräulein, abscheulich gepudert und parfümiert, wahrscheinlich schwer krank, auch nervös aus den Fugen, gesellschaftlich geschwätzig, als Tschechin zum Teil auf mich angewiesen, auch auf dem mir abgewandten Ohr schwerhörig (jetzt sind noch ein paar Tschechen da, aber sie fahren weg), eine Waffe habe ich, die mich hoffentlich schützen wird; sie hat heute, nicht mir gegenüber, den Venkov als ihr liebstes Blatt genannt, besonders wegen der Leitartikel, entzückt denke ich daran den ganzen Abend. (Sie kommt übrigens von Smokovec und war in vielen Sanatorien und lobt nur eines über alle Maßen: Grimmenstein, es ist aber vom März ab an den Staat verkauft.) Die hinterlistigste Methode wäre vielleicht mit der Erklärung so lange zu warten, bis sie etwas sagt, was unmöglich zurückgenommen werden kann. Von Grimmenstein sagte sie: má to žid, ale výtečně to vede* (* Der Besitzer ist ein Jude, er führt es aber ausgezeichnet.) , das hat wohl noch nicht genügt.Du darfst übrigens, Max, nach allem, was ich schreibe, nicht glauben, dass ich an Verfolgungswahn leide, ich weiß es aus Erfahrung, dass kein Platz unbesetzt bleibt, und sitze ich nicht oben in meinem Sattel, so, nur dann, sitzt eben der Verfolger dort.

    Aber jetzt schließe ich ab (sonst bekommst Du den Brief vor Deiner Abreise nicht) obwohl ich das, was ich wollte, nicht gesagt habe und erst recht nicht auf dem Umweg über mich den Weg zu Dir gefunden habe, der mir, am Anfang zumindest, dunkel-klar war. Es ist aber eben das Musterbild eines schlechten Schriftstellers, dem das Mitzuteilende wie eine schwere Seeschlange in den Armen liegt, wohin er tastet, nach rechts, nach links nimmt es kein Ende, und selbst was er umfaßt, kann er nicht ertragen. Und wenn es dann überdies noch ein Mensch ist, der vom Abendessen in sein stilles Zimmer zurückkommt und unter der peinlichen Nachwirkung einer bloßen Tischnachbarschaft fast körperlich zittert.

__________


    Und dabei denke ich während des ganzen Briefes vor allem an die zwei Varianten. Die erste scheint mir unmöglich, die Zeitung, eine Gazette des Ardennes, unmöglich, die Chefredakteurschaft unmöglich, die Arbeitslast (Du wärst wohl zwar nicht der einzige Musikreferent?) zu groß, die politische Stellungnahme (jeder Mitarbeiter einer solchen Zeitung hat Stellung genommen) zu stark, das Ganze Deiner unwürdig. Der einzige Vorteil wäre wohl das hohe Einkommen.

    Aber das zweite, warum sollte das nicht möglich sein? Wofür die Regierung zahlt? Sie ist so sehr improvisiert und so sehr im Notstand, dass sie gerade deshalb hie und da auch ganz Ausgezeichnetes macht. Und dieses wäre etwas derartiges, es wäre nichts als der Dank für das, was Du getan hast, und für das, was Du vielleicht (bestünde hinsichtlich dessen ein bürokratischer Zwang?, es gab ja ganze Jahre, wo es Dich zu nichts derartigem drängte) vielleicht tun wirst. Übrigens kommen ja derartige Dinge nicht nur in der Tschechoslowakei vor, es sind gute Nachwirkungen der Kriegspressequartierimprovisationen. Merkwürdig - das muß man hinzufügen und es hat etwas von der Sicherheit Deiner Entscheidung hinsichtlich Berlins, wenn es auch nicht so ohne weiters überzeugend ist - merkwürdig, dass Du zögerst, Deine ganze Berufskraft, ich meine jene Kraft, die Du hier verankern willst, dem Zionismus zu geben.

__________


    Den Aufsatz, ich lege ihn bei, habe ich in einem Zug schnell mehrmals hintereinander gelesen, so rasant ist es geschrieben (bis auf ein paar ausweichende kleine Schnörkel über Geschäftspapiere), aber soll es eine Anklage sein, wohl nicht? Und soll es ganz genau Berlin treffen? Und nicht jede große Stadt, des Westens zumindest, wo notwendigerweise die "lebens" erleichternden Konventionen stärker und zuschnürender werden.

__________


    Du erwähnst Deinen Roman im Zusammenhang mit kabbalistischen Studien, besteht ein Zusammenhang?

__________


    Die Gedichte habe ich gestern bekommen, Du denkst an mich.

    Grüß bitte Felix und Oskar, auch sie sollen mich nicht vergessen, auch wenn ich nicht schreibe.

__________


Übrigens bekam ich von M. vor etwa einer Woche noch einen Brief, einen letzten Brief. Sie ist stark und unveränderlich, etwa in Deinem Sinn, Du bist ja auch ein Unveränderlicher, aber nein, so sprechen die Frauen nicht von Dir. Nein doch, Du bist in gewissem Sinn, und das steht mir besonders hoch, auch den Frauen gegenüber unveränderlich.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Ruth: Die Tochter von Felix und Irma Weltsch.


Hindernis Deiner Körperlichkeit: Brod litt an einer Deformation des Rückgrats.


Oderberg: Starý Bohumín, slowakische Grenzstation bei Ostrau.


Venkov: Blatt der Agrarierbewegung mit stark antijüdischer Tendenz (siehe 1918 Anm.38).


Gazette des Ardennes: Kafka bezieht sich auf ein berüchtigtes, November 1914 in Rethel (Ardennes) begründetes deutsches Propagandablatt, das - in der Form einer regelrechten einheimischen Zeitung - dazu bestimmt war, die französische Bevölkerung durch gefärbte Reportage zu beeinflussen.


gute Nachwirkungen: Kafka denkt hier offenbar daran, dass man Schriftsteller wie Franz Blei, Egon Erwin Kisch, Robert Musil und Franz Werfel im Wiener Kriegspressequartier zu propagandistischen Zwecken verpflichtet hatte.


Den Aufsatz: Max Brod, "Berlin und der Mensch", Prager Tagblatt, 11. Januar 1921. Dieser Aufsatz stellt den Vorabdruck eines Abschnitts seiner Monographie über Adolf Schreiber dar (siehe 1917 Anm.22). In einer Anmerkung zum Aufsatz heißt es: "Über den Selbstmord des genialen Komponisten, eines Pragers, der 14 Jahre lang unbekannt in Berlin rang, ehe er in die Wannsee ging, ist im September 1920 berichtet worden."


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at