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[An Ottla Kafka]

[Meran, Ende Mai 1920]
 


Liebe Ottla, das hast Du also ausgezeichnet gemacht, allerdings hätte ich an Deiner Stelle die Gesundung des Herrn Fikart abgewartet aus dem Grunde weil er es mir vielleicht übelnehmen wird ihn übergangen zu haben. Aber trotzdem bin ich froh noch ein wenig hierbleiben zu können. Vielleicht fahre ich dann im Juni des übergangs halber noch auf paar Tage nach Böhmen irgendwohin, aber nicht eigentlich weil es mir zu heiß wäre. Zum arbeiten allerdings ist sehr heiß, man klagt sogar in den Zeitungen über vorzeitige Hitze, nicht einmal am Abend (nur am Morgen) halte ich es aus eigentlich im Garten zu arbeiten (ganz leichtes natürlich Unkraut durchhacken, Kartoffeln behäufeln, Rosen beschneiden, eine tote Amsel begraben u. dgl.) aber für das Daliegen ist es im Durchschnitt kühl und schön, nicht wärmer als in Prag. Und an der Passer, die aus dem Hochgebirge kommt und kalte Luft mitgerissen bringt, gibt es eine quergestellte Bank, wo es einen in der größten Mittagshitze fast kalt durchweht.

dass der Direktor Dich nicht viel angeschaut hat, beweißt kein Mißfallen, ich hätte Dich darauf vorbereiten sollen. Es ist das eher ein rhetorischer Effekt oder richtiger ein Verzicht auf das Auskosten der Wirkung. Der gute Redner oder der welcher es zu sein glaubt, verzichtet in seinem Selbstbewußtsein auf das Ablesen der Wirkung vom Gesicht des andern, vielmehr er muß gar nichts ablesen, ist tief von der Wirkung überzeugt, braucht diese Anregung nicht. übrigens spricht doch der Direktor wirklich außerordentlich gut, bei so formellen Gelegenheiten ist es vielleicht nicht so zur Geltung gekommen.

Ich danke Dir auch noch nachträglich für die Zeitungen, an dem Tag, als ich sie bekam war ich so unausgeschlafen, dass ich nicht begreifen konnte, dass eine solche Menge Zeitungen ohne einen bestimmten Zweck etwa gar zur Unterhaltung gelesen werden könnten. Später habe ich doch manches Interessante in ihnen gefunden. Die Rundschau hebe mir auf, ich brauche sie hier nicht.

Aus den Worten des Direktors könnte man annehmen, dass er sehr bereit wäre mich zu pensionieren. Es ist doch sinnlos einen Beamten zu halten, den man für so erholungsbedürftig hält, dass man immer wieder ihm Urlaub geben will. Oder ist es das Zeichen weiteren Weltuntergangs? Letzthin erzählte einer von einem Gespräch von früheren Heereslieferanten. Sie klagten über die Menge Kriegsanleihe, die sie liegen haben. Nur einer, gerade derwelcher am meisten geliefert hatte, sagte, er habe keine. Er erklärte das damit, er habe sich gleich gesagt bei den Preisen, die er mache könne kein Staat auf die Dauer bestehn, deshalb habe er nicht gezeichnet. Könnte das nicht mancher auch der Welt gegenüber sagen?

Wilder Kopf? Nun es ist schon lange und der Kopf ist wieder gut geworden.

Der General - ich habe von ihm schon geschrieben, nicht? - hat heute im Biergarten (ja, ich habe ein kleines Bier zwischen den Fingern gedreht) seine feste überzeugung ausgesprochen, dass ich heiraten werde und hat auch meine künftige Frau beschrieben. Er kennt nämlich mein Alter nicht und hält mich für etwas ganz Junges, bei ihm ist es angenehm, ich habe ihn gern und sage ihm mein Alter nicht. Dabei ist er viel jünger und ich könnte nicht in Weisheit sein Großvater sein. Er ist 63 Jahre alt, hat aber eine so schlanke, straffe, beherrschte Gestalt, dass er z. B. im Halbdunkel des Gartens, im kurzen überzieher, die eine Hand an der Hüfte, die andere auf der Zigarette am Mund wie ein junger Wiener Lieutenant aus den alten österreichischen Zeiten aussieht.

Alles Gute

Franz


Grüß doch einmal ganz besonders Elli und Valli ordentlich von mir. Und dann in anderem Ton das Fräulein natürlich. Oskar? Felice? Memoiren einer Socialistin? Schwimmschule?




nach Böhmen: Kafka wollte in Karlsbad zunächst Julie Wohryzek treffen, dann auch seine Eltern, die beabsichtigten, im Juni Franzensbad aufzusuchen (vgl. Nr. 81, 84, M 52 und die Anmerkungen zu Nr. 75), gab jedoch diesen Plan bald auf (M 53 f.), konnte deswegen ein paar Tage länger in Meran bleiben (M 66) und fuhr dann dafür am 28. Juni zu Milena nach Wien (M 76 f.).


bei so formellen Gelegenheiten: Kafka an Brod über die Sprachkraft des Direktors: "es hat sich diese Kraft in seiner Rede, seitdem er Direktor ist, fast verloren, der Bureaukratismus läßt sie dort nicht mehr aufkommen, er muß zu viel sprechen." (Br 308, vgl. die Anmerkungen zu Nr. 79)


Der General: Vgl. Br 270 und 274 f.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at