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[An Ottla Kafka]
Liebe Ottla, Dank für die zwei Briefe und das Telegramm. Ich hätte
Dir schon früher geantwortet, aber die Schlaflosigkeit,
die eine Zeitlang fast unmerklich war, ist seit einiger Zeit wiederabscheulich
ausgebrochen, was Du daraus beurteilen kannst, dass ich zur Bekämpfung
allerdings fast mit Gegenerfolg einmal Bier getrunken, einmal Baldriantee
getrunken und heute Brom vor mir stehen habe. Nun es wird vorübergehen
(vielleicht ist übrigens die Meraner Luft daran mitschuldig, Bädecker
behauptet es) aber man wird manchmal unfähig zu schreiben.
Als ich Dir den Brief mit den Belehrungen schrieb, fiel mir natürlich
nicht ein, zu denken, sie könnten noch aktuell sein, wenn sie ankämen,
ich hielt es bloß nicht für ausgeschlossen dass sie wieder
aktuell geworden sein könnten. Es waren übrigens gar nicht Belehrungen
sonder nur Fragen.
Wegen Deiner Krankheit war ich deshalb einen Augenblick erschrocken, weil
ich kurz nach dem Lesen Deines damaligen Briefs Herrn Fröhlich,
der mir, sicher in übertreibung von einer Blatternepidemie in Prag
erzählte. Ich bin überzeugt dass naturgemäße
Lebensweise Blattern übersteht, aber ich will nicht dass der
Beweis von Dir geführt wird.
dass die Hochzeit im Juli sein wird - wie sollte
mich das überraschen? Ich dachte vielmehr, sie werde Ende Juni sein.
Du sprichst manchmal davon, wie wenn Du mir damit ein Unrecht tätest,
während es doch das Gegenteil ist. Beide sollten wir nicht heiraten,
das wäre abscheulich und da Du von uns beiden dazu gewiß die
geeignetere bist, tust Du es für uns. Das ist doch einfach und die
ganze Welt weiß es. Dafür bleibe wieder ich ledig für uns
beide.
Ich werde wohl noch im Juni kommen und vom Urlaub noch ein Stück mir
aufheben, gar wenn die Schlaflosigkeit mir in den Kurerfolg hineinfährt.
Zuletzt hatte ich 3.50 zugenommen, jetzt habe ich mich einige Tage nicht
gewogen.
Jene Beruhigung hast Du sehr gut ausgeführt, ich schreibe
recht regelmäßig, aber da war wohl eine Lücke.
Den Eltern danke bitte für ihren lieben Brief, ich schreib ihnen bald,
auch an die dort angegebenen Adressen. Wann fahren die Eltern ins
Bad oder verschieben sie es wegen der Hochzeit? Kommt Onkel
Alfred?
Das Wetter ist jetzt sehr schön, der früher gefürchtete
Regen wird jetzt gewünscht und kommt auch regelmäßig zu
seine Zeit. Ich bin den größten Teil des Tages fast nackt und
kann den Leuten die von 2 nahen Balkonen herüberschauen, nicht helfen,
denn es ist wirklich sehr heiß. Vielleicht übersiedle ich für
die paar Wochen noch nach einem andern Ort, aber nicht
wegen der Hitze, sondern wegen der Schlaflosigkeit, es tut mir leid, denn
eine so gute Pension und Behandlung finde ich nicht wieder.
Allerdings dachte ich das im Hotel Emma auch. Der Vater würde sagen:
"Wenn man ihn nicht prügelt und hinauswirft, ist es eine großartige
Pension". Er hat recht, aber ich auch.
Warst Du schon bei Oskar? Grüß ihn vielmals von mir und erkläre
ihm, warum ich noch nicht geschrieben habe. Allerdings
hast Du jetzt vielleicht wegen der Vorarbeiten gar keine Zeit. Brief an
Felice?
Grüße auch sonst alle und das Fräulein besonders. Wir habe
noch immer kein Dienstmädchen?
F
Datierung: Der Brief steckt irrtümlich in einem Umschlag, der am 12.
VI. 20 abgestempelt wurde (vgl. die Anmerkungen zu Nr. 84). Die Papierverhältnisse
(Kafka verwendet in den vorhergehenden Briefen das gleiche Papier, im Juni
aber anderes), die erwähnten "Belehrungen", die sich auf
Nr. 78 beziehen (seit Anfang Mai müssen also gute zwei Postwege vergangen
sein), der Hinweis auf das Telegramm (es bezieht sich sicher auf die Genehmigung
der Urlaubsverlängerung durch die Direktion, die am 15. Mai erteilt
wurde, vgl. Nr. 79 und D 73) und der Umfang der berichteten Gewichtszunahme
Kafkas weisen auf eine Entstehungszeit in der Mitte dieses Monats.
Schlaflosigkeit: wegen der Korrespondenz mit Milena.
Herrn Fröhlich: dahinter ist "traf"
zu ergänzen, vgl. auch Nr. 84.
die Hochzeit: Ottla heiratete Josef David am 15.
Juli; zu Ottlas "Unrecht" vgl. KO 455.
ich schreibe recht regelmäßig: nämlich
an Julie Wohryzek.
ins Bad: Vgl. Nr. 84.
Onkel Alfred: Alfred Löwy, ein Bruder der Mutter,
war in Madrid Eisenbahndirektor; er traf am 7. Juli in Prag ein. (Vgl.
M 88 und Nr. 84)
nach einem andern Ort: Kafka dachte wahrscheinlich
an Klobenstein bei Bozen. (Vgl. Br 274 und M 72)
warum ich noch nicht geschrieben habe: Max Brod,
dem er seine Verhältnisse nur andeutungsweise darlegen konnte, weil
er befürchtete, seine Frau könne an die Korrespondenz gelangen
(vgl. M 86), teilte er hinsichtlich des blinden Freundes mit, dem die eingehende
Post natürlich von seiner Frau vorgelesen werden mußte: "ich
entschließe mich, trotzdem kein Hindernis vorliegt, so schwer zu
notwendigerweise öffentlichen Briefen." (Br 275)
Tatsächlich schrieb er doch noch an Oskar, vgl. Br 242 (dort irrtümlich
unter "Juni 1918 " eingeordnet) und Nr. 84.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at