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An Milena Jesenská
Heute ist Donnerstag. Bis Dienstag war ich aufrichtig entschlossen nach
Grimmmstein zu fahren. Ich fühlte zwar manchmal wenn ich daran
dachte eine innerliche Drohung, merkte auch, dass das Hinauszögern
der Reise zum Teil seinen Grund darin hatte, glaubte aber das Ganze leicht
überwinden zu können. Dienstag mittag hörte ich von jemandem,
dass es nicht nötig ist, die Aufenthaltsbewilligung in Prag abzuwarten,
sondern dass man sie in Wien sehr wahrscheinlich bekommt. Damit war
also der Weg frei. Ich quälte mich nun einen Nachmittag lang auf dem
Kanapee, abend schrieb ich Dir einen Brief, schickte ihn aber nicht weg,
noch glaubte ich es überwinden zu können, aber die ganze schlaflose
Nacht wand ich mich geradezu unter Qualen. Die zwei in mir; der welcher
fahren will und der welcher sich zu fahren fürchtet, beide nur Teile
von mir, beide wahrscheinlich Lumpen, kämpften in mir. Ich stand früh
auf wie zu meinen ärgsten Zeiten.
Ich habe nicht die Kraft zu fahren; die Vorstellung, dass ich vor
Dir stünde, kann ich im voraus nicht ertragen, den Druck im Gehirn
ertrage ich nicht.
Schon Dein Brief ist unaufhaltbare, grenzenlose Enttäuschung durch
mich, nun noch dies. Du schreibst, Du habest keine Hoffnung, aber Du hast
die Hoffnung, vollständig von mir gehn zu können.
Ich kann Dir und niemandem begreiflich machen, wie es in mir ist. Wie könnte
ich begreiflich machen, warum es so ist; das kann ich nicht einmal mir
selbst begreiflich machen. Aber das ist auch nicht die Hauptsache, die
Hauptsache ist klar: im Umkreis um mich ist es unmöglich menschlich
zu leben; Du siehst es, und willst es noch nicht glauben?
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at