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An Milena Jesenská
Mit dem Stundenplan hast Du mir Freude gemacht. Ich studiere ihn wie eine
Landkarte. Wenigstens eine Sicherheit. Aber vor 14 Tagen komme ich gewiß
nicht, wahrscheinlich später. Im Bureau hindert mich noch einiges;
das Sanatorium, das mir früher bereitwillig geschrieben hat, ist jetzt
auf eine vegetarische Anfrage hin verstummt; auch erhebe
ich mich zu der Reise förmlich wie ein Volk, immerfort fehlt noch
etwas hier und dort an Entschlußkraft, der und jener muß noch
aufgemuntert werden, schließlich warten alle und können nicht
fortreisen, weil ein Kind weint. Auch fürchte ich mich fast vor der
Reise; wer wird mich z. B. in einem Hotel dulden, wenn ich wie etwa gestern
(ich war schon wie seit Jahren nicht, um ¼ 10 im Bett) von ¼
10 bis gegen 11 ununterbrochen huste, dann einschlafe, um 12 beim Herumwenden
von links nach rechts wieder zu husten anfange und bis 1 Uhr huste. In
einem Schlafwagen, wie ich voriges Jahr ohne Schwierigkeit fuhr, würde
ich unbedingt nicht mehr zu fahren wagen.
Lese ich richtig? Littya? Den Namen kenne ich nicht.
Ganz so ist es nicht Milena. Du kennst den, der Dir jetzt schreibt, aus
Meran. Dann waren wir eines, da war vom Sichkennen keine Rede mehr und
dann sind wir wieder gespalten worden.
Darüber möchte ich noch einiges sagen, es geht mir aber nicht
aus der gewürgten Kehle hinaus.
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"Ale snad máš pravdu, snad to jiní přeloží
lápe" ["Aber vielleicht hast Du recht, vielleicht übersetzen
das andere besser."] ich wiederhole hier nur diesen Satz, damit er
nicht ohne weiters verlorengeht.
Den Brief von Illový bekam ich übrigens Freitag, und Sonntag
erschien es, merkwürdiger Weise "Vor dem Gesetz".
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Ich bin nicht schuldig, wenigstens nicht sehr schuldig, dass das
Inserat Sonntag nicht in der Zeitung war. Heute ist Mittwoch, gestern
vor einer Woche gab ich das Inserat in die Agentur (den Brief hatte ich
allerdings tags vorher bekommen), hätte die Agentur das Inserat gleich
weggeschickt, wie sie mir es versprochen haben, wäre es Donnerstag
in Wien gewesen und Sonntag in der Zeitung. Ich war Montag fast unglücklich,
als ich es nicht fand: Gestern zeigten sie mir dann die Karte von der Presse,
dass es zu spät gekommen ist. Da es Sonntag erscheinen soll,
für diesen Sonntag es aber wahrscheinlich wieder zu spät wäre,
wird es erst nächsten Sonntag erscheinen.
1] vegetarische Anfrage: Kafka war seit 1909 überzeugter
Vegetarier; so war denn vegetarische Kost für ihn unbedingte Voraussetzung
für die Wahl des Sanatoriums.
2] "Vor dem Gesetz": In der Tageszeitung
"Právo lidu", 29. Jg. , Nr. 253 (24. 10. 1920), Sonntagsbeilage
Nr. 43, war Kafkas Parabel unter dein Titel "Před zákonern"
in der Übersetzung von Milena Illová, der Frau seines Mitschülers,
erschienen. Kafka erklärt das hier zu seinem Bedauern, hatte er doch
Milena Jesenská allein das Recht zur Übersetzung seiner Dichtungen
zugesprochen. Vgl. Brief vom [Mai 1920], S. 15.
3] das Inserat: Die Anzeige in der "Neuen
Freien Presse", Wien. Vgl. 2. Brief vom [19.-23. August 1920] Freitag,
Anm. 1.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at