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An Milena Jesenská
Du kannst, Milena, nicht genau verstehn, um was es sich handelt oder zum
Teil gehandelt hat, ich verstehe es ja selbst nicht, ich zittere unter
dem Ausbruch, quäle mich bis an den Irrsinn heran, aber was es ist
und was es in der Ferne will, weiß ich nicht. Nur was es in der Nähe
will: Stille, Dunkel, Sich-Verkriechen das weiß ich und muß
folgen, kann nicht anders.
Es ist ein Ausbruch und geht vorüber und ist zum Teil vorübergegangen,
aber die Kräfte, die ihn hervorrufen, zittern immerfort in mir, vorher
und nachher, ja mein Leben, mein Dasein besteht aus diesem unterirdischen
Drohen, hört es auf, höre ich auch auf, es ist die Art meiner
Teilnahme am Leben, hört es auf, gebe ich das Leben auf, so leicht
und selbstverständlich, wie man die Augen schließt. War es
nicht immer da, seitdem wir einander kennen, und hättest Du nach mir
auch nur flüchtig hingesehn, wenn es nicht da gewesen wäre?
Natürlich kann man es nun nicht so wenden und sagen: nun ist es vorüber
und ich wäre nichts als still und glücklich und dankbar im neuen
Zusammensein. Man darf es nicht sagen, trotzdem es fast wahr ist (durchaus
wahr die Dankbarkeit (. . .) [11 Wörter unleserlich gemacht]
nur in gewissem Sinn wahr das Glück und niemals wahr die Stille) denn
immer werde ich erschrecken, mich am meisten.
Du erwähnst die Verlobungen und ähnliches, gewiß es war
sehr einfach, der Schmerz war nicht einfach, aber seine Wirkung. Es war
so wie wenn man sein Leben lüderlich hingelebt hätte und nun
wäre man plötzlich zur Strafe für alle Lüderlichkeit
gefußt worden und nun käme man mit dem Kopf in einen Schraubstock,
eine Schraube an die rechte, eine an die linke Schläfe und nun hätte
man, während die Schrauben langsam angezogen würden, zu sagen:
"Ja, ich bleibe bei dem lüderlichen Leben", oder "Nein,
ich lasse es. " Natürlich brüllte man das "Nein"
hinaus, dass einem die Lunge sprang.
Du hast auch recht, wenn Du das was ich jetzt getan habe in eine Reihe
stellst mit den alten Dingen, ich kann doch nur immer der gleiche sein
und das gleiche erleben. Anders ist nur, dass ich schon Erfahrung
habe, dass ich mit dem Schreien nicht erst warte, bis man die Schrauben
zur Erzwingung des Geständnisses ansetzt, sondern schon zu schreien
anfange, wenn man sie heranbringt, ja schon schreie, wenn sich in der Ferne
etwas rührt, so überwach ist mein Gewissen geworden - nein nicht
überwach, noch lange nicht wach genug. Aber noch etwas ist anders:
Dir kann man Beinet- und Deinetwegen die Wahrheit sagen, wie niemandem
sonst, ja man kann seine Wahrheit von Dir geraden Wegs erfahren.
Wenn Du aber bitter davon sprichst Milena, dass ich Dich so sehr bat,
mich nicht zu verlassen, so tust Du nicht recht. Darin war ich damals nicht
anders als heute. Ich lebte von Deinem Blick (das ist noch keine besondere
Vergöttlichung Deiner Person, in solchem Blick kannieder göttlich
sein) ich hatte keinen eigentlichen Boden unter mir; das fürchtete
ich so sehr, ohne es bestimmt zu wissen, ich wußte gar nicht, wie
hoch ich über meiner Erde schwebte. Das war nicht gut, weder in meinem
noch in Deinem Sinn. Ein Wort Wahrheit, ein Wort unvermeidbarer Wahrheit
genügte und riß mich schon ein Stück herunter und wieder
ein Wort und wieder ein Stück und schließlich gibt es kein Halten
mehr und man stürzt hinunter und es ist dem Gefühl nach noch
immer zu langsam. Ich nenne absichtlich keine Beispiele solcher "Wahrheits-Worte",
das verwirrt nur und ist nie ganz richtig.
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Bitte Milena erfinde eine andere Möglichkeit wie ich Dir schreiben
kann. Verlogene Karten schicken ist zu dumm; welche Bücher ich schicken
soll weiß ich auch nicht immer; die Vorstellung endlich dass
Du einmal nutzlos zur Post gehst ist unerträglich, erfinde bitte eine
andere Möglichkeit.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at