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An Milena Jesenská

[Prag, 6. September 1920]
Montag
 


Kein Brief.

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Was Maxens Aufsatz betrifft, so kommt es darauf an, ob es "nur" Dein oder Laurins Einfall ist. Im letzteren Falle wäre es immerhin möglich, aber doch nicht als Leitartikel, nur als Feuilleton. Übrigens spielen da verschiedene parteipolitische Rücksichten mit, die aufzuzählen zu langweilig ist.

Die Adresse habe ich Dir gestern telegraphiert: Hans Janowitz bei Karl Maier, Berlin W 15 Lietzenburger (oder Lützenburger-)straße Nr 32.

Dein Telegramm war sehr gut. Ich wäre sonst nicht zu Jarmila gegangen, auf Dein Telegramm hin ging ich. Sie war es also, die tags vorher bei mir gewesen war. Was sie gewollt hatte, habe ich eigentlich auch von ihr nicht erfahren: einen Brief wollte sie Dir schicken und mich wollte sie fragen, ob Du ihn dort vor Deinem Mann verwahren könntest (warum verwahren?) und jetzt habe sie es sich wieder überlegt und wolle den Brief nicht schicken, aber es sei möglich, dass sie ihn nächstens doch wieder werde schicken wollen und dann werde sie mir ihn schicken oder bringen - also so unklar war das alles. Die Hauptsache aber war, dass ich (allerdings sehr gegen meinen Willen) endlos langweilig war, bedrückend wie ein Sargdeckel und sie, Jarmila erlöst war als ich weggieng.


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Jetzt kamen doch Briefe (von Mittwoch und Freitag) (Auch ein Brief von der "Woche", adressiert an Frank K.; woher wissen sie, dass ich Frank heiße?). Danke für die Adressen, ich werde hinschreiben. In Deiner Nähe sein, ja - Sonst aber ist mir so sehr um andere Dinge zu tun, als im Sanatorium liegen, gefüttert werden und in den ewigen Vorwurf des Winterhimmels hinaufschauen.


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Seit heute bin ich nicht mehr allein im Bureau, das ist ermüdend nach so langer Zeit des Alleinseins, selbst wenn man auf Fragen - ach nun war der Dichter wohl zwei Stunden da und ist jetzt mit Weinen fortgelaufen. Und ist wahrscheinlich unglücklich darüber, trotzdem doch Weinen das allerbeste ist.


Ja, gewiß, schreib mir nicht, wenn es eine "Aufgabe" ist, ja nicht einmal, wenn Du schreiben "willst", ja nicht einmal wenn Du schreiben " mußt", ja aber was bleibt denn dann übrig? Nun das was mehr ist, als alles das.


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Etwas für die böse Nichte lege ich bei.


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Ja, an Staša werde ich schreiben.




1] Hans Janowitz: H.Janowitz (1890-1954), Schriftsteller aus dem literarischen Freundeskreis um Willy Haas, Franz Wedel, Paul Kornfeld und Rudolf Fuchs. Sein Bruder Franz Janowitz (1891-1917), der von Karl Kraus sehr geschätzte Lyriker, gehörte bis zu seinem Tod an der italienischen Front auch zu diesem Kreis.


2] Adressen: Adressen von Sanatorien. Vgl. Brief vom [September 1920] [3. Brief], Anm. 1.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at