Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Milena Jesenská
Heute habe ich kaum etwas anderes gemacht, als dagesessen, ein wenig hier
ein wenig dort gelesen, hauptsächlich aber nichts gemacht oder einem
ganz leichten Schmerz zugehört, wie er in den Schläfen arbeitet.
Den ganzen Tag war ich mit Deinen Briefen beschäftigt in Qual, in
Liebe, in Sorge und in ganz unbestimmter Angst vor Unbestimmtem, dessen
Unbestimmtheit hauptsächlich darin besteht, dass es maßlos
über meine Kräfte hinausgeht. Dabei habe ich die Briefe zum zweitenmal
noch gar nicht zu lesen gewagt und eine halbe Seite auch zum ersten Mal
noch nicht. Warum kann man sich nicht damit abfinden, dass in dieser
ganz besondern, hinhaltend selbstmörderischen Spannung zu leben das
Richtige ist (Du erwähntest manchmal etwas Ähnliches, ich versuchte
Dich damals auszulachen) sondern lockert sie mutwillig, fährt aus
ihr hinaus wie ein unvernünftiges Tier (und liebt gar noch wie ein
Tier diese Unvernunft) und leitet sich dadurch alle gestörte, wild
gewordene Elektricität in den Leib, dass es einen fast verbrennt.
Was ich damit eigentlich sagen will, weiß ich nicht genau, nur auffangen
möchte ich irgendwie die Klagen, nicht die wörtlichen, aber die
verschwiegenen, die aus Deinen Briefen kommen, und ich kann es, denn es
sind im Grunde die meinen. Das wir auch hier im Dunkel so einig sein sollten,
ist das sonderbarste und ich kann es förmlich nur jeden zweiten Augenblick
glauben.
----------
Freitag
Die Nacht habe ich statt mit Schlafen, (nicht ganz freiwillig allerdings)
mit den Briefen verbracht. Trotzdem ist es jetzt noch nicht am allerschlimmsten.
Allerdings ist kein Brief gekommen, aber auch das macht an sich nichts.
Es ist jetzt viel besser nicht täglich zu schreiben; Du hast es im
Geheimen früher eingesehen als ich. Die täglichen Briefe schwächen
statt zu stärken; früher trank man den Brief aus und war gleichzeitig
(ich rede von Prag nicht von Meran) zehnmal stärker und zehnmal durstiger
geworden. Jetzt aber ist es so ernst, jetzt beißt man sich in die
Lippen, wenn man den Brief liest und nichts ist so sicher, als der kleine
Schmerz in den Schläfen. Aber auch das mag sein, nur eines: nicht
krank werden Milena, nicht krank werden. Nichtschreiben ist gut; (wie viel
Tage brauche ich denn um mit a solchen Briefen fertig zu werden wie den
gestrigen? Dumme Frage, kann man in Tagen damit fertig werden?) aber kranksein
soll nicht die Ursache sein. Ich denke ja dabei nur an mich. Was würde
ich tun? Höchstwahrscheinlich das was ich jetzt tue, aber wie würde
ich es tun? Nein, daran will ich nicht denken. Und dabei habe ich, wenn
ich an Dich denke, als klarste Vorstellung immer die, dass Du im Bett
liegst, so wie Du etwa in Gmünd am Abend auf der Wiese lagst (dort
wo ich Dir von meinem Freund erzählte und Du wenig zuhörtest).
Und das ist gar keine quälende Vorstellung, sondern eigentlich das
Beste was ich jetzt zu denken imstande bin, dass Du im Bett liegst,
ich Dich ein wenig pflege, hin und wiederkomme, die Hand Dir auf die Stirn
lege, in Deinen Augen versinke, wenn ich auf Dich hinabsehe, Deinen Blick
auf mir fühle, wenn ich im Zimmer herumgehe und immerfort mit einem
gar nicht mehr zu bändigendem Stolz es weiß, dass ich für
Dich lebe, dass ich es so darf und dass ich also anfange dafür
zu danken, dass Du einmal bei mir stehn geblieben bist und mir die
Hand gereicht hast. Und es wäre ja auch nur eine Krankheit die bald
vorüber geht und Dich gesünder macht als Du früher warst
und Dich wieder groß aufstehn läßt, während ich mich
bald und einmal und hoffentlich ohne Lärm und Schmerz unter die Erde
verkrieche. Also das quält gar nicht, aber die Vorstellung dass
Du in der Ferne krank wirst -
----------
Hier ist das Inserat, es hätte wohl ein wenig scharfsinniger
und verständlicher gemacht werden können, besonders die "Wiener
Handels- und Sprachschulen" stehn dort verlassen und sinnlos; den
Beistrich nach Lehrerin habe allerdings ich nicht gemacht. Sag übrigens
was Du verbessert haben willst und ich lasse es nächstens abändern.
Vorläufig ist es also am 26 erschienen und erscheint zunächst
am 1, 5 und 12.
----------
Max kann also wirklich nicht vermitteln. Tycho Brahe ist
zwar bei Topič erschienen, seitdem hätte aber auch noch eine
jüdisch-politische Broschüre dort erscheinen sollen, die schon
angenommen war, dann aber wieder wegen Papiermangel, Druckkosten u. s.
w. abgelehnt wurde. Eigentlich ist er also mit Topič zerzankt.
1] Inserat: Vgl. Brief vom [19. bis 23. August 1920]
Freitag, Anm. 1.
2] Tycho Brahe: Max Brod, "Tycho Brahes Weg
zu Gott" (Leipzig: Kurt Wolff, 1915). Die tschechische Übersetzung
dieses Romans von A. Wenig: "Tychona Brahe cesta k Bohu" war
1917 im Verlag F. Topič erschienen.
Donnerstag abend
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at