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An Milena Jesenská
Ich weiß nicht genau warum ich schreibe, aus Nervosität wahrscheinlich,
so wie ich früh auf den Expressbrief den ich gestern abend bekam,
aus Nervosität eine ungeschickte telegraphische Antwort gegeben habe.
Heute nachmittag nachdem ich mich bei Schenker erkundigt
habe antworte ich dringend.
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Sonst kommt man durch diesen Briefwechsel über diesen Gegenstand immer
wieder zu dem Schluß, dass Du durch eine geradezu sakramentale
unlösliche Ehe (wie nervös ich bin, mein Schiff muß irgendwie
sein Steuer verloren haben in den letzten Tagen) mit Deinem Mann verbunden
bist und ich durch eine ebensolche Ehe mit - ich weiß nicht mit wem,
aber der Blick dieser schrecklichen Ehefrau liegt oft auf mir, das fühle
ich. Und das Merkwürdige ist dass, trotzdem jede dieser Ehen
unlöslich ist also eigentlich nichts mehr darüber zu sagen ist,
trotz allem die Unlöslichkeit der einen Ehe die Unlöslichkeit
der andern bildet oder wenigst kräftigt und umgekehrt. Aber bestehn
bleibt doch nur das Urteil wie Du es hinschreibst: nebude toho nikdy [es
wird nie sein (geschehen)], und wir wollen nie mehr von der Zukunft nur
von der Gegenwart sprechen.
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Diese Wahrheit ist unbedingt, unerschütterlich, die Säule auf
der die Welt ruht und doch gestehe ich, dass im Gefühl nur im
Gefühl, die Wahrheit aber bleibt, bleibt unbedingt. Weißt Du
wenn ich so etwas hinschreiben will wie das folgende, nähern sich
schon die Schwerter, deren Spitzen im Kranz mich umgeben, langsam dem Körper,
es ist die vollkommenste Folter; wenn sie mich zu ritzen anfangen, ich
rede nicht vom einschneiden, wenn sie mich also nur zu ritzen anfangen
ist es schon so schrecklich dass ich sofort, im ersten Schrei, alles
verrate, Dich, mich, alles.] gestehe ich also nur unter dieser Voraussetzung,
dass ein solcher Briefwechsel über diese Dinge mir im Gefühl
(ich wiederhole um meines Lebens willen: nur im Gefühl) so vorkommt,
wie wenn ich irgendwo in Central-afrika leben würde und mein ganzes
Leben lang dort gelebt hätte und Dir die Du in Europa lebst, mitten
in Europa, meine unerschütterlichen Meinungen über die nächste
politische Gestaltung mitteilen würde. Aber nur ein Vergleich ist
es, ein dummer, ungeschickter, falscher, sentimentaler, kläglicher,
absichtlich blinder Vergleich ist es, nichts anderes, bitte, ihr Schwerter!
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Du hast recht den Brief Deines Mannes mir zu citieren, ich verstehe zwar
nicht alles genau (aber schicke mir den Brief nicht) aber das sehe
ich, dass hier ein "lediger" Mann schreibt, der "heiraten"
will. Was bedeutet seine gelegentliche "Untreue" die nicht
einmal Untreue ist, denn ihr bleibt auf dem gemeinsamen Weg, nur innerhalb
dieses Wegs geht er ein wenig links, was bedeutet diese "Untreue",
die außerdem nicht aufhört in Dein tiefstes Leid auch tiefstes
Glück auszuströmen, was bedeutet diese "Untreue"
gegen meine ewige Gebundenheit!
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Hinsichtlich Deines Mannes habe ich Dich nicht mißverstanden. Alles
Geheimnis Eueres unzerreißbaren Zusammenhaltes, dieses reiche unausschöpfbare
Geheimnis gießt Du immer wieder in die Sorge um seine Stiefel. Darin
quält mich etwas, ich weiß nicht genau was. Das ist ja sehr
einfach; wenn Du fortgehen solltest, wird er entweder mit einer andern
Frau leben oder in eine Pension gehe und seine Stiefel werden besser geputzt
sein als jetzt. Das ist dumm und nicht dumm, ich weiß nicht, was
mich in diesen Bemerkungen so quält. Vielleicht weißt Du es.
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Bei Laurin war ich gestern, er war nicht in der Redaktion, heute habe ich
telephonisch mit ihm gesprochen, ihn gerade in der Korrektur eines Aufsatzes
von Dir gestört. Er sagt er habe gestern Deinem Mann geschrieben,
dieser solle sich direkt an Masaryks Sekretär, einen
Bekannten Laurins wenden. - Pick habe ich gestern nach Haindorf-Ferdinandstal
geschrieben. Den Geburtstag hättest Du nicht verdorben haben müssen,
wenn Du mir früher um das Geld geschrieben hättest. Ich bringe
es mit. - Aber vielleicht sehn wir uns gar nicht, es wäre bei dieser
Verwirrung leicht möglich.
Das ist es auch. Du schreibst von den Menschen die einen gemeinsamen Abend
und Morgen haben und jenen, die das nicht haben. Eben die Lage der letzteren
scheint mir günstiger. Sie haben etwas Schlimmes getan, gewiß
oder vielleicht, und der Schmutz dieser Szene kommt, wie Du richtig sagst,
wesentlich aus ihrem Fremdsein und es ist irdischer Schmutz sowie der Schmutz
in einer niemals bewohnten und plötzlich wild aufgerissenen Wohnung.
Das ist also schlimm, aber es ist nichts Entscheidendes geschehn, nichts
was förmlich im Himmel und auf der Erde entscheidet, es ist wirklich
nur ein "Spiel mit einem Ball" wie Du es nennst. Es ist so
wie wenn Eva den Apfel (manchmal glaube ich, ich verstehe den Sündenfall
wie kein Mensch sonst) zwar abgerissen hätte, aber nur um ihn Adam
zu zeigen, weil er ihr gefallen hat. Das Hineinbeißen war das Entscheidende,
das Mit-ihm-spielen war zwar nicht erlaubt, aber auch nicht verboten.
1] Schenker: Wahrscheinlich die Erledigung einer
der Aufträge Milenas bei der Spedition Schenker & Co. in Prag.
2] Masaryks Sekretär: Der Sekretär des
ersten Präsidenten 216 der tschechoslowakischen Republik, Tomáš
G. Masaryk; Arne Laurins unmittelbarer Vorgesetzter, Bedřich Hlaváč,
der Gründer und Leiter der "Tribuna", war mit Masaryk
befreundet.
Freitag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at