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An Milena Jesenská
(ich denke offenbar nur an
Samstag)
Ich müßte ein Lügner sein, wenn ich nicht noch mehr sagte
als heute im Morgenbrief, gar Dir gegenüber, vor der ich so frei sprechen
kann, wie vor niemandem, weil noch niemand so auf meiner Seite gestanden
ist wissend und wollend wie Du, trotz allem, trotz allem (Unterscheide
das große Trotzallem vom großen Trotzdem).
Die schönsten Briefe unter den Deinigen (und das ist viel gesagt,
denn sie sind ja im Ganzen, fast in jeder Zeile, das Schönste, was
mir in meinem Leben geschehen ist) sind die, in denen Du meiner "Angst"
recht gibst und gleichzeitig zu erklären suchst, dass ich sie
nicht haben muß. Denn auch ich, mag ich auch manchmal aussehn wie
ein bestochener Verteidiger meiner "Angst", gebe ihr im tiefsten
wahrscheinlich Recht, ja ich bestehe aus ihr und sie ist vielleicht mein
Bestes. Und da sie mein Bestes ist, ist sie auch vielleicht das allein,
was Du liebst. Denn was wäre sonst großes Liebenswertes an mir
zu finden. Dieses aber ist Liebenswert.
Und wenn Du einmal fragtest, wie ich den Samstag "gut"
habe nennen können mit der Angst im Herzen, so ist das nicht schwer
erklärt. Da ich Dich liebe und ich liebe Dich also, Du Begriffstützige,
so wie das Meer einen winzigen Kieselstein auf seinem Grunde lieb hat,
genau so überschwemmt Dich mein Liebhaben - und bei Dir sei ich
wieder der Kieselstein, wenn es die Himmel zulassen) liebe ich die ganze
Welt und dazu gehört auch Deine linke Schulter, nein es war zuerst
die rechte und darum küsse ich sie, wenn es mir gefällt (und
Du so lieb bist die Bluse dort wegzuziehn) und dazu gehört auch die
linke Schulter und Dein Gesicht über mir im Wald und Dein Gesicht
unter mir im Wald und das Ruhn an Deiner fast entblößten Brust.
Und darum hast Du recht, wenn Du sagst dass wir schon eins waren und
ich habe gar keine Angst davor, sondern es ist mein einziges Glück
und mein einziger Stolz und ich schränke es gar nicht auf den Wald
ein.
Aber eben zwischen dieser Tag-Welt und jener "halben Stunde im Bett"
von der Du einmal verächtlich als von einer Männer-Sache schriebst,
ist für mich ein Abgrund, über den ich nicht hinwegkommen kann,
wahrscheinlich weil ich nicht will. Dort drüben ist eine Angelegenheit
der Nacht, durchaus in jedem Sinn Angelegenheit der Nacht; hier ist die
Welt und ich besitze sie und nun soll ich hinüberspringen in die Nacht,
um sie noch einmal in Besitz zu nehmen. Kann man etwas noch einmal in Besitz
nehmen? Heißt das nicht: es verlieren. Hier ist die Welt, die ich
besitze und ich soll hinüber, einer unheimlichen Zauberei zuliebe,
einem Hokuspokus, einem Stein der Weisen, einer Alchymie, einem Wunschring
zuliebe. Weg damit, ich fürchte mich schrecklich davor.
In einer Nacht das durch Zauberei erwischen wollen, eilig, schweratmend,
hilflos, besessen, das durch Zauberei erwischen wollen, was jeder Tag den
offenen Augen gibt! ("Vielleicht" kann man Kinder nicht anders
bekommen, "vielleicht" sind auch Kinder Zauberei. Lassen wir
diese Frage noch). Darum bin ich ja so dankbar (Dir und allem) und so ist
es also samoz-řejmá, dass ich
neben Dir höchst ruhig und höchst unruhig, höchst gezwungen
und höchst frei bin, weshalb ich auch nach dieser Einsicht alles andere
Leben aufgegeben habe. Sieh mir in die Augen!
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Erst durch Frau Kohler erfahre ich also, dass die Bücher vom
Nachttisch auf den Schreibtisch übersiedelt sind. Ich hätte vorher
unbedingt gefragt werden müssen, ob ich mit dieser Übersiedlung
einverstanden bin. Und ich hätte gesagt: Nein!
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Und nun danke mir. Ich habe die Lust hier in diesen letzten Zeilen noch
etwas Wahnsinniges aufzuschreiben (etwas Wahnsinnig-Eifersüchtiges)
glücklich unterdrückt.
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Aber jetzt ist es genug, jetzt erzähle von Emilie.
1] den Samstag "gut" habe nennen können:
Kafka bezieht sich auf die gemeinsamen vier Tage in Wien. Vgl. Brief vom
[4. Juli 1920] Sonntag, Anm. 1.
2] samoz-řejmá: Selbstverständlich.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at