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An Milena Jesenská
Lieb und geduldig, bin ich das? Das weiß ich wirklich nicht, nur
dass ein solches Telegramm gut tut gewissermaßen dem ganzen
Körper, das weiß ich, und ist doch nur ein Telegramm und keine
hingereichte Hand.
Aber auch traurig, müde, aus dem Krankenbett heraus gesagt, klingt
es. Es ist doch traurig und auch kein Brief ist gekommen, wieder ein Tag
ohne Brief, es muß Dir doch sehr schlecht gehn. Wer bürgt mir
dafür, dass Du selbst das Telegramm aufgegeben hast und nicht
den ganzen Tag im Bett liegst, oben in dem Zimmer, in dem ich mehr lebe,
als in meinem eigenen.
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Heute nacht habe ich Deinetwegen gemordet, ein wilder Traum, schlechte,
schlechte Nacht. Genaueres darüber weiß ich kaum.
Nun kam also doch der Brief. Der ist freilich klar. Die andern waren allerdings
nicht weniger klar, aber man wagte zu ihrer Klarheit nicht vorzudringen.
Übrigens, wie solltest Du lügen können, das ist nicht die
Stirn, die lügen kann.
Max gebe ich nicht die Schuld. Gewiß, was auch in seinem Brief gestanden
haben mag, er war unrichtig, nichts, auch der Beste nicht, soll sich zwischen
uns mischen. Deshalb habe ich ja auch heute nacht gemordet. Jemand, ein
Verwandter, sagte im Verlauf eines Gespräches, an das ich mich nicht
erinnere, das aber etwa den Sinn hatte, dass irgendetwas dieser und
jener nicht zustandebringen könnte - ein Verwandter sagte also schließlich
ironisch: "Dann also vielleicht Milena." Darauf ermordete ich
ihn irgendwie, kam dann aufgeregt nachhause, die Mutter lief immerfort
hinter mir, es war auch hier ein ähnliches Gespräch im Gang,
schließlich schrie ich heiß vor Wut: "Wenn jemand Milena
im Bösen nennt, z. B. der Vater (mein Vater) ermorde ich auch ihn
oder mich." Dann erwachte ich, aber es war kein Schlaf gewesen und
kein Erwachen.
Wieder komme ich zu den früheren Briefen zurück, sie waren im
Grunde ähnlich jenem Brief an das Mädchen. Und
die Abendbriefe waren nichts als Leid über die Morgenbriefe. Und -
einmal abend schriebst Du, alles sei möglich, nur dass ich Dich
verliere sei unmöglich - es war doch eigentlich nur noch ein leiser
Druck nötig und das Unmögliche wäre gelungen. Und vielleicht
gab es sogar diesen Druck und vielleicht gelang es.
Jedenfalls: dieser Brief ist eine Erholung, man war ja lebendig begraben
unter den frühern und glaubte doch still liegen zu müssen, denn
vielleicht war man doch wirklich tot.
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Das alles also hat mich nicht eigentlich überrascht, ich habe es erwartet,
habe mich so gut es ging vorbereitet, es zu ertragen, wenn es käme;
nun da es kommt, ist man natürlich noch immer nicht genug vorbereitet,
immerhin, es wirft noch nicht um. Was Du dagegen über Deine sonstige
Lage und über Deine Gesundheit schreibst, ist ganz und gar schrecklich
und viel stärker als ich. Nun darüber werden wir sprechen, wenn
Du von der Reise zurückkommst, vielleicht geschieht dort wirklich
das Wunder, zumindest das körperliche Wunder, das Du erwartest, ich
habe übrigens in dieser Hinsicht ein solches Vertrauen zu Dir dass
ich gar kein Wunder haben will, dass ich Dich wunderbare, vergewaltigte,
nicht zu vergewaltigende Natur, ruhig dem Wald, See und dem Essen anvertraue,
allerdings, wäre nur nicht alles Sonstige.
Wenn ich Deinen Brief überdenke - ich habe ihn erst einmal gelesen
- das was Du über Deine Gegenwart und Zukunft schreibst, das was Du
über Deinen Vater schreibst, das was Du über mich schreibst,
so ergibt sich doch nur das was ich schon einmal sagte mit großartiger
Deutlichkeit, nämlich dass Dein eigentliches Unglück ich,
kein anderer, nur ich bin - wobei ich einschränke: Dein äußerliches
Unglück - denn wäre ich nicht, wärest Du vielleicht schon
vor einem Vierteljahr von Wien fortgegangen und wenn nicht vor einem Vierteljahr,
so jetzt gewiß. Du willst nicht von Wien fort, das weiß ich,
würdest auch nicht fortwollen, wenn ich nicht wäre, aber eben
deshalb könnte man - dies schon aus äußerster Vogelperspektive
- sagen, dass, unter anderem natürlich, meine Gefühlsbedeutung
für Dich ist, dass ich Dir es ermögliche in Wien zu bleiben.
Aber man muß gar nicht so weit gehn und in schwierige Feinheiten
sich einlassen, es genügt schon die selbstverständliche Überlegung,
dass Du Deinen Mann schon einmal verlassen hast, ihn unter dem viel
größeren gegenwärtigen Druck umso leichter verlassen könntest,
ihn aber natürlich nur verlassen könntest des Verlassens wegen,
nicht auch noch eines Andern wegen.
Aber alle diese Überlegungen helfen ja zu nichts weiter als zur Offenheit.
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Zwei Bitten Milena eine kleine und eine große. Die kleine: höre
mit dem Markenverschwenden auf, auch wenn Du die Marken weiter schickst,
ich werde sie dem Mann nicht mehr geben. Ich habe doch diese Bitte rot-blau
unterstrichen, das bedeutet, damit Du es für später weißt,
die allergrößte Strenge, die ich aufbringe.
Die große Bitte: brich den Briefwechsel mit Max ab, ihn kann ich
nicht gut darum bitten. In einem Sanatorium ist es ja sehr gut, wenn man
nach dem Krankenbesuch auf dem Gang den guten Arzt im Vertrauen fragt,
wie es also eigentlich " unserem Patienten" geht. Aber selbst
im Sanatorium fletscht wahrscheinlich der Kranke die Zähne gegen die
Tür hin.
Die Sachen besorge ich natürlich mit Freude. Nur würde ich glauben
es wäre besser das Trikot in Wien zu kaufen, denn für das Trikot
wird wohl Ausfuhrerlaubnis nötig sein (letzthin hat man mir auf einem
Postamt nicht einmal die Bücher ohne Ausfuhrerlaubnis angenommen,
auf dem nächsten Postamt nahm man sie dann allerdings ohne weiters
an) nun, vielleicht weiß man im Geschäft Rat. - Geld werde ich
immer ein wenig zu den Briefen beischließen. Wenn Du sagst "genug",
höre ich dann gleich auf.
Dank für die Tribuna-Leseerlaubnis. Letzthin Sonntag sah ich ein Mädchen,
das sich am Wenzelsplatz die Tribuna kaufte, also doch offenbar nur wegen
des Modeartikels. Sie war nicht besonders gut angezogen, noch nicht.
Schade dass ich mir sie nicht gemerkt habe und ihre Entwicklung nicht
verfolgen kann. Nein, Du hast Unrecht, Deine Modeartikel gering zu schätzen.
Ich bin Dir wirklich dankbar, dass ich sie jetzt offen lesen kann
(im Geheimen habe ich sie nämlich lumpiger Weise schon öfters
gelesen).
1] Brief an das Mädchen: Milenas Brief an Julie
Wohryzek, den Kafka für zu streng und zu hart hielt. Vgl. Brief vom
[20. Juli 1920] Dienstag, Anm. 1.
Samstag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at