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An Milena Jesenská

[Prag, 1. August 1920]
Sonntag abend
 

Also schnell, das ist die Möglichkeit, wir haben sie jede Woche; dass sie mir nicht früher einfiel; allerdings muß ich zuerst den Paß haben, das ist nicht so einfach wie Du denkst und ohne Ottla fast unmöglich:

Ich fahre an einem Samstag nachmittag mit dem Schnellzug, komme etwa (ich werde mich morgen nach den genauen Zeiten erkundigen) um 2 Uhr nachts nach Wien. Du hast inzwischen für mich die SonntagSchnellzugskarte nach Prag schon Freitag gekauft, mir telegraphiert, dass Du sie hast; ohne dieses Telegramm könnte ich nicht von Prag wegfahren. Du erwartest mich am Bahnhof, wir haben über 4 geureinsame Stunden, um 7 Uhr früh Sonntag fahre ich wieder weg.

Das ist also die Möglichkeit, ein wenig trüb zwar, nur 4 müde Nachtstunden beisammen zu sein (und wo? in einem Hotel am Franz Josefsbahnhof?) immerhin eine Möglichkeit, sie läßt sich aber außerordentlich dadurch verschönern, dass Du - aber gibt es diese Möglichkeit? - mir nach Gmünd entgegenkommst und wir die Nacht in Gmünd bleiben. Gmünd ist doch österreichisch? Da brauchst Du also keinen Paß. Ich komme dort wohl etwa um 10 Uhr abends an, vielleicht noch früher und fahre Sonntag mit dem Schnellzug (Sonntag bekommt man wohl leicht Plätze) um 11 Uhr vormittag etwa weg, vielleicht wenn ein passender Personenzug später fährt, noch später. Wie Du allerdings hinfahren und wegfahren kannst, weiß ich nicht.

Nun was sagst Du? Sonderbar dass ich Dich jetzt fragen muß und habe doch den ganzen Tag mit Dir gesprochen.


Adresse des Krasa: Marienbad Hotel Stern




1] Ottla: Kafkas jüngste Schwester Ottilie half ihm, besonders seit Beginn seiner Krankheit, viel in praktischen Dingen.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at