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An Milena Jesenská
Ich habe ja gewußt, was in dem Brief stehen wird, es stand fast hinter
allen Briefen, es stand in Deinen Augen - was würde nicht erkannt
auf ihrem klaren Grunde? - es stand in den Falten auf Deiner Stirn, das
habe ich ja gewußt, so wie einer der den ganzen Tag in irgendeiner
Schlaf-Traum-Angst-Versunkenheit hinter geschlossenen Läden verbracht
hat, abend das Fenster öffnet und natürlich gar nicht erstaunt
ist und es gewußt hat, dass jetzt Dunkel ist, wunderbares tiefes
Dunkel. Und ich sehe wie Du Dich quälst und windest und nicht loskommst
und - werfen wir das Feuer in die Pulverkammer! - niemals loskommen wirst
und ich sehe das und darf doch nicht sagen: Bleib, wo Du bist. Aber ich
sage auch nicht das Gegenteil, ich stehe Dir gegenüber und schaue
in die lieben armen Augen (es ist doch kläglich das Bild, das Du mir
geschickt hast, eine Qual es anzusehn, eine Qual, der man sich 100 mal
im Tag unterzieht und leider doch ein Besitz, den ich gegen 10 starke Männer
zu verteidigen imstande wäre) und bin wirklich stark wie Du schreibst,
eine gewisse Stärke habe ich, will man sie kurz und unklar bezeichnen,
so ist es mein Unmusikalisch-Sein. So groß ist sie aber doch nicht,
dass ich, wenigstens gleich jetzt weiterschreiben könnte. Irgendeine
Flut von Leid und Liebe nimmt mich und trägt mich vom Schreiben fort.
F
Samstag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at