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An Milena Jesenská
Der Nacht-und-Weiße-Hahn-Brief und der Montagsbrief
kamen, der erste ist offenbar der spätere, aber ganz sicher ist es
nicht. Ich habe sie nur einmal schnell überlesen und muß Dir
gleich antworten, Dich bitten nicht schlecht von mir zu denken. Leerer,
abscheulicher Unsinn war, was Staša geschrieben hat, wie kannst Du
glauben, dass ich ihr recht gebe? Wie weit ist Wien von Prag, dass
Du so etwas denken kannst und wie nah ist es, im Wald beisammen zu liegen
und wie lang ist es her. Und Eifersucht ist es keine, es spielt nur so
um Dich; weil ich Dich von allen Seiten fassen will, also auch von der
Seite der Eifersucht, aber es ist dumm und es wird nicht sein, es sind
nur die ungesunden Träume des Allein-seins. Auch von Max machst Du
Dir falsche Vorstellungen, gestern endlich richtete ich ihm Deine Grüße
aus, mit Ärger (siehe oben!) weil er immerfort gegrüßt
wird. Da er aber für alles gewöhnlich eine Erklärung hat,
so sagte er, dass Du wahrscheinlich nur deshalb ihn öfters grüßen
läßt, weil ich seine herzlichsten Grüße Dir noch
niemals ausgerichtet habe, ich solle das endlich tun, dann werde es wahrscheinlich
zu meiner Beruhigung aufhören. Möglich, ich versuche es also
so.
Und sonst mache Dir gar keine Sorgen meinetwegen Milena, das würde
noch fehlen, dass Du Dir meinetwegen Sorgen machst. Wäre nicht
die "Angst" die seit paar Tagen mich hält und über
die ich heute morgen bei Dir Klage geführt habe, ich wäre fast
ganz gesund. Wie kam es übrigens, dass Du damals im Wald sagt
auch Du hättest es Dir nicht anders gedacht? Es war oben im Wald,
am zweiten Tag. Ich unterscheide die Tage genau, der erste war der unsichere,
der zweite war der allzu sichere, der dritte war der reuige, der vierte
war der gute.
An Frau Kohler schicke ich gleich, so wie ich es gerade bei mir habe, 100
cechische K in 50 K Noten und 100 österr. Kronen. Wüßtest
Du für nächstens eine andere Art der Überweisung als die
im rekommandierten Brief, wäre es besser. Man kann z. B. auch telegraphisch
postlagernd Geld überweisen, allerdings nicht unter einem Decknamen,
es muß der wirkliche Name sein. Und was den Monat auf dem Land betrifft,
warum ist das Geld des Vaters oder Laurins besser als meines? Übrigens,
das ist ja gleichgültig, nur sage niemals dass es viel ist, was
Du verlangst. Und Jarmila? Kommt sie?
Jetzt muß ich aber zur Hochzeit der Schwester gehn.
Warum bin ich übrigens ein Mensch mit allen Qualen dieses auerunklarsten
und entsetzlich verantwortungsvollen Zustandes. Warum bin ich nicht z.
B. der glückliche Schrank in Deinem Zimmer, der Dich voll anschaut,
wenn Du im Lehnstuhl sitzt oder beim Schreibtisch oder Dich niederlegst
oder schläfst (aller Segen über deinen Schlafl). Warum ich es
nicht bin? Weil ich zusammenbrechen würde vor Leid, wenn ich Dich
im Jammer der letzten Tage gesehen hätte, oder gar wenn - Du von Wien
wegfahren solltest.
F
Das Gefühl, dass Du bald einen Paß haben wirst ist sehr
wohltuend.
Die Adresse von Max ist Prag V, Ufergasse 8, aber wegen der Frau wäre
es vielleicht nicht gut wenn Du dorthin schreibst. Sonst hat er noch zwei
Adressen, eben wegen der Frau oder, wenn Du willst, seinetwegen: die Adresse
von Dr. Felix Weltsch, Prag, Universitätsbibliothek
oder eben meine.
1] Weiße-Hahn-Brief: Ein Brief, den Milena
in dem - später mehrmals genannten - Speiselokal "Weißer
Hahn" geschrieben hatte. Dieses Lokal in der Josefstädter Straße
lag unweit von Milenas Wohnung.
2] Hochzeit der Schwester: Ottla heiratete am 15.
Juli 1920 den Juristen Dr. Josef David, einen Christen. Die standesamtliche
Trauung war im Prager Rathaus. Vgl. auch Brief vom [30. Mai 1920], Anm.
3.
3] Dr. Felix Weltsch: (1884-1964) Er gehörte
mit Max Brod und Oskar Baum zum engsten Freundeskreis Kafkas.
Donnerstag, später
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at