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An Milena Jesenská

[Prag, 14. Juli 1920]
Mittwoch
 

Du schreibst: "Ano máš pravdu, mám ho ráda. Ale F., i tebe mám ráda" - ich lese den Satz sehr genau, jedes Wort, besonders beim i bleibe ich stehn, es ist alles richtig, Du wärst nicht Milena wenn es nicht richtig wäre und was wäre ich wenn Du nicht wärest und es ist auch besser dass Du das in Wien schreibst als dass Du es in Prag sagtest, alles das verstehe ich genau, vielleicht besser als Du und doch, aus irgendeiner Schwäche kann ich mit dem Satz nicht fertig werden, es ist ein endloses Lesen und ich schreibe ihn schließlich hier noch einmal auf, damit auch Du ihn siehst und wir ihn zusammenlesen, Schläfe an Schläfe. (Dein Haar an meiner Schläfe)

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Das war geschrieben, als Deine zwei Bleistiftbriefe kamen. Glaubst Du, ich hätte nicht gewußt dass sie kommen würden. Aber nur in der Tiefe habe ich es gewußt und dort lebt man nicht immerfort, sondern zieht es vor in der kläglichsten Gestalt auf der Erde zu leben. Ich weiß nicht warum Du fortwährend Angst hast, dass ich etwas selbstständig tue. Habe ich nicht deutlich genug darüber geschrieben? Und an Frau Kohler habe ich doch nur telegraphiert weil ich fast 3 Tage und schlimme Tage ohne Nachricht war, ohne die Telegrammantwort und fast glauben mußte dass Du krank seist.

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Gestern war ich bei meinem Arzt, er fand mich etwa in dem gleichen Zustand wie vor Meran, die 3 Monate sind an der Lunge fast spurlos vorübergegangen, in der linken Lungenspitze sitzt die Krankheit frisch wie damals. Er hält diesen Erfolg für trostlos, ich für ziemlich gut, denn wie würde ich aussehn, wenn ich die gleiche Zeit in Prag verbracht hätte. Auch glaubt er dass ich gar nichts an Gewicht zugenommen habe, nach meiner Rechnung sind es aber doch etwa 3 kg. Im Herbst will er es mit Einspritzungen versuchen, ich glaube aber nicht, dass ich das dulden werde.

Wenn ich mit diesem Ergebnis es vergleiche, wie auch Du mit Deiner Gesundheit wüstest - notwendigster Weise natürlich, das muß ich doch wohl gar nicht mehr hinzufügen - so scheint es mir manchmal dass wir statt zusammenzuleben, uns nur gut und zufrieden zu einander legen werden, um zu sterben. Aber was auch geschehn mag, es wird in Deiner Nähe sein.

Übrigens weiß ich entgegen dem Arzt, dass ich um halbwegs gesund zu werden, nur Ruhe brauche undzwar eine besondere Art von Ruhe oder wenn man es anders ansieht eine besondere Art von Unruhe.

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Was Du über Stašas Brief schreibst freut mich sehr, es war aber auch selbstverständlich. Sie hält eben Deinen jetzigen Zustand für eine Kapitulation, erwähnt auch schon Deinen Vater, eine Erwähnung, die aus ihrem Mund genügt mich ihn hassen zu lassen, den ich im Grunde liebe - kurz, sie sagt etwa das Dümmste, was man bei großer Anstrengung - ihr fließt es aber von den schönen Lippen - über den Fall sich ausdenken kann. Und es ist natürlich, das darf man nicht vergessen, durchaus Liebe, sie streckt eben aus ihrem Grab die Arme nach Dir aus.

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Es ist französischer Nationalfeiertag, die Truppen marschieren unten von der Parade nachhause. Es hat das fühle ich, in Deinen Briefen atmend - etwas Großartiges. Nicht die Pracht, nicht die Musik, nicht das Marschieren, nicht der alte, aus einem (deutschen) Panoptikum entsprungene Franzose in roter Hose, blauem Rock der vor einer Abteilung marschiert, sondern irgendeine Manifestation von Kräften, die aus der Tiefe rufen: "trotzdem, ihr stummen, geschobenen, marschierenden, bis zur Wildheit vertrauensvollen Menschen, trotzdem werden wir Euch nicht verlassen, auch in Eueren größten Dummheiten nicht und besonders in ihnen nicht". Und man schaut mit geschlossenen Augen in jene Tiefen und versinkt fast in Dir.

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Endlich hat man mir den Haufen Akten der sich für mich angesammelt hat gebracht, denke, seitdem ich im Bureau bin, habe ich genau gerechnet 6 Amtsbriefe geschrieben und man duldet es. Die viele Arbeit die auf mich wartet konnte ich bis heute infolge der Faulheit der Abteilung, die sie für mich aufbewahrt, nicht bekommen, zu meiner großen Befriedigung. Jetzt sind sie aber da. Und trotzdem ist es ja nichts, wenn ich ein wenig ausgeschlafen bin. Heute allerdings war es noch recht schlecht.

F          




"Ano máš pravdu, mám ho ráda. Ale F., i tebe mám ráda""ja, Du hast recht, ich habe ihn gern. Aber F., ich habe auch Dich gern"

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at