Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Milena Jesenská
3) Ich nummeriere
wenigstens diese
Briefe, keiner darf
Dich verfehlen, so
Wie ich Dich nicht
Verfehlen durfte in
Dem kleinen Park
Kein Ergebnis, trotzdem alles doch so klar ist und von mir auch so gesagt
wurde. Einzelnheiten will ich nicht erzählen, nur dass sie kein
auch nur von der Ferne böses Wort über Dich oder mich sagte.
Ich war vor lauter Klarheit nicht einmal mitleidig. Nur das konnte ich
der Wahrheit gemäß sagen, dass sich zwischen mir und ihr
nichts geändert hat und kaum jemals etwas ändern wird, nur -
nichts mehr, abscheulich ist es, Henkerberuf ist es, das ist nicht mein
Beruf. Nur das eine, Milena, wenn sie schwer krank wird, (sie sieht sehr
schlecht aus und ist maßlos verzweifelt, ich muß morgen nachmittag
wieder zu ihr kommen) wenn sie also krank wird oder sonst etwas mit ihr
geschieht, ich habe keine Macht mehr darüber, denn ich kann ihr immerfort
nur die Wahrheit sagen und diese Wahrheit ist nicht nur Wahrheit, sondern
mehr, sondern Aufgelöstsein in Dir, während ich neben ihr gehe
- wenn also etwas geschieht, dann Milena mußt Du kommen.
F
Dumme Rede, Du kannst ja nicht kommen, aus dem gleichen Grunde.
----------
Morgen schicke ich Dir den Vater-Brief in die Wohnung,
heb ihn bitte gut auf, ich könnte ihn vielleicht doch einmal dem Vater
geben wollen. Laß ihn womöglich niemand lesen. Und verstehe
beim Lesen alle advokatorischen Kniffe, es ist ein Advokatenbrief. Und
vergiß dabei niemals Dein großes Trotzdem.
----------
Montag früh
Ich schicke Dir den armen Spielmann heute, nicht weil
er eine große Bedeutung für mich hat, einmal hatte er sie vor
Jahren. Ich schicke ihn aber, weil er so wienerisch, so unmusikalisch,
so zum Weinen ist, weil es im Volksgarten auf uns hinuntergesehen hat (auf
uns! Du giengst ja neben mir Milena, denk nur, Du bist neben mir gegangen)
weil es so bureaukratisch ist und weil er ein geschäftstüchtiges
Mädchen geliebt hat.
1] Vater-Brief: Vgl. Brief vom [21. Juni 1920],
Anm. 1.
2] den armen Spielmann: Franz Grillparzers Erzählung
"Der arme Spielmann", die Kafka wahrscheinlich schon von seiner
Schulzeit her kannte, gehörte zu den Dichtungen, die er besonders
gerne vorlas; sie hatte "große Bedeutung" für ihn
in den Jahren seiner Verlobung mit Felice Bauer, die - wie die Geliebte
des armen Spielmanns- ein "geschäftstüchtiges Mädchen"
war. (Vgl. u. a. "Tagebücher", S. 282, und "Briefe
an Felice", S. 544, 551. 574.) In seinem Brief an Milena vom [13.
Juli 1920], S. 108 f., relativiert Kafka seine zuvor so stark betonte Distanz,
kritisiert dann aber Grillparzers Dichtung in ungewöhnlich harter
Weise.
Sonntag ½ 12
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at