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An Milena Jesenská
Wann wird man endlich die verkehrte Welt ein wenig gerade richten? Bei
Tage geht man mit ausgebranntem Kopf herum - es gibt hier überall
so schöne Ruinen auf den Bergen und man glaubt, man müsse auch
so schön werden - im Bett aber bekommt man statt Schlaf die besten
Einfälle. Heute z. B. fiel mir in Ergänzung des gestrigen Vorschlages
ein, dass Sie über den Sommer bei Stašasein
könnten, von der Sie ja schrieben, dass sie auf dem Lande
ist. Gestern schrieb ich die Dummheit, dass das Geld manchen Monat
nicht ausreichen würde, das ist Unsinn, es wird immer ausreichen.
Der Dienstag Früh- und Abendbrief bestätigt nur den Wert meines
Vorschlags, was ja kein besonderer Zufall ist denn der Wert des Vorschlags
muß von allem, durchaus allem bestätigt werden. Ist in dem Vorschlag
Hinterlist - wo wäre sie nicht, dieses ungeheuere Tier, das sich nach
Bedürfnis ganz klein machen kann - so werde ich sie im Zaume halten,
selbst Ihr Mann kann mir darin vertrauen. Ich komme in Übertreibungen.
Trotzdem: man kann mir vertrauen. Ich werde Sie gar nicht sehn, nicht jetzt,
nicht dann. Sie werden auf dem Lande leben, das Sie lieben. (Darin sind
wir ähnlich, wenig bewegtes Land, noch nicht ganz Mittelgebirge ist
mir das liebste und Wald und See darin.)
Die Wirkung Ihrer Briefe verkennen Sie, Milena. Die Montagbriefe (jen strach
o Vás)[ (nur Angst um Sie] habe ich noch immer nicht ganz gelesen
(heute früh habe ich es versucht, es gierig auch schon ein wenig,
es war ja auch schon etwas Historie geworden durch meinen Vorschlag, aber
zuende lesen konnte ich sie noch nicht), der Dienstagbrief dagegen (und
auch die merkwürdige Karte - im Kaffeehaus geschrieben? - auf Ihre
Werfelanklage muß ich noch antworten, ich antworte Ihnen ja eigentlich
auf gar nichts, Sie antworten viel besser, das tut sehr gut), macht mich
heute trotz einer durch den Montagsbrief fast schlaflosen Nacht genug ruhig
und zuversichtlich. Gewiß, auch der Dienstagbrief hat seinen Stachel
und er schneidet sich seinen Weg durch den Leib, aber Du führst ihn
und was wäre - dies ist natürlich nur die Wahrheit eines Augenblicks,
eines Glück- und Schmerz-zitternden Augenblicks - was wäre von
Dir zu ertragen schwer?
F
Sagen Sie bitte wenn es Ihnen nicht unangenehm ist, bei Gelegenheit Werfel
für mich etwas Liebes. - Auf manches aber antworten Sie leider doch
nicht z.B. auf die Fragen wegen Ihres Schreibens. [. . .] [ca. 9 Wärter
unleserlich gemacht]
Letzthin habe ich wieder von Ihnen geträumt, es war ein großer
Traum, ich erinnere mich aber fast an gar nichts. Ich war in Wien, davon
weiß ich nichts, dann aber kam ich nach Prag und hatte Ihre Adresse
vergessen, nicht nur die Gasse, auch die Stadt, alles, nur der Name Schreiber
tauchte mir noch irgendwie auf, aber ich wußte nicht, was ich damit
machen sollte. Sie waren mir also vollständig verloren. In meiner
Verzweiflung machte ich verschiedene sehr listige Versuche, die aber, ich
weiß nicht warum, nicht ausgeführt wurden und von denen mir
nur einer erinnerlich ist. Ich schrieb auf ein Couvert: M. Jesenská
und darunter "Ich bitte diesen Brief zuzustellen, da sonst die Finanzverwaltung
einen ungeheueren Verlust erleidet." Durch diese Drohung hoffte ich
alle Hilfsmittel des Staates für Ihre Auffindung in Bewegung zu bringen.
Schlau? Lassen Sie sich dadurch nicht gegen mich einnehmen. Nur im Traum
bin ich so unheimlich.
1] bei Staša . . .auf dem Lande Milenas Freundin;
vgl. Brief vom [29. Mai 1920], Anm. 6.
2] Ich nehme . . . einmal Du. quer im Verhältnis
zum umgebenden Brieftext zwischen dem eigentlichen Briefschluß und
dem ersten Postskriptum niedergeschrieben
Freitag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at