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An Felix Weltsch

[Meran, April/Mai 1920
 

Lieber Felix, Dank für Karte und Selbstwehr. Die Selbstwehr entbehrte ich wirklich schon als eine Mitteilung von Dir; dass Du mir eigens schreiben solltest, daran dachte ich gar nicht, Deine Arbeitsleistung und vor allem der Mut zu ihr und in ihr ist mir ja unbegreiflich. Und mit welcher Überlegenheit, Ruhe und Treue gegen Dich Du das Ganze führst. Von Deinen persönlichen Schmerzen, die Du in der Karte erwähnst, ist - ich habe zwischen den Zeilen gesucht - nicht das Geringste zu merken; so die Zeitschrift zu führen, heißt sich schon bei Lebzeiten verklärt sehn. Und dabei kann ich die politische Kunst kaum beurteilen.

Letzthin sah ich bei einem hiesigen Bäcker Holzgethan einige Hefte der Selbstwehr auf dem Ladentisch, ein junger Mann borgte sich sie von der Besitzerin aus, es wurde überhaupt über Zeitungen gesprochen, mich einzumischen hatte ich keine Gelegenheit. Jedenfalls war ich hocherstaunt und wollte Dir gleich die interessante Beobachtung über die Verbreitung der Selbstwehr schreiben. Leider habe ich es versäumt und heute ist es zu spät, denn ich habe erfahren, dass das meine Hefte gewesen sind, die ich meinem Arzt, einem Prager Zionisten (vorher hatte ich sie noch einer alten Prager Dame geborgt), geborgt hatte, der sie beim Bäcker liegen ließ und nicht mehr wiederbekam.

Letzthin wollte ich Dir eine Nummer des hiesigen katholischen Blattes mit einem Leitartikel über Zionismus schicken, es schien mir aber damals zu langweilig. Es war eine Besprechung eines in Wien erschienenen Buches von Wicht über Zionismus und Freimaurerei. Der Zionismus ist hienach die von der Freimaurerei geschaffene, im Bolschewismus zum Teil schon aufgegangene Schöpfung zur Zerstörung alles Bestehenden und Aufrichtung der jüdischen Weltherrschaft. Beschlossen wurde das alles auf dem ersten Basler Kongreß, der zwar nach außen hin verschiedene lächerliche Sachen verhandelte, um äußerliche Billigung der Weltorganisation zu bekommen, im Innern aber nur über die Mittel zur Erreichung der Weltherrschaft beriet. Diese Geheimprotokolle sind glücklicherweise in einem Exemplar gestohlen worden und wurden von dem großen russischen Gelehrten Nilus (von dem merkwürdiger Weise in dem Leitartikel nochmals ausdrücklich bemerkt wird "er hat wirklich gelebt und war ein großer russischer Gelehrter") veröffentlicht. Stellen aus den Protokollen der "Weisen von Zion", wie sich die Kongreßmitglieder selbst nennen, werden zitiert, sie sind gleichzeitig dumm und schrecklich wie der Leitartikel.

Deine Nachricht von Langer, dem ich vielmals danken lasse, hat mich sehr gefreut, ich weiß, dass es zum größten Teil kindliche Freude ist, aber ich habe sie schamlos. Das Kind ist offenbar nicht befriedigt worden und klettert die Leiter der Jahre zum Schwindligwerden hinauf.

Mir geht es hier gut, wenn ich nicht schlaflos bin, aber ich bin es sehr oft und sehr arg. Vielleicht ist die Bergluft daran schuld, vielleicht anderes. Wahr ist, ich lebe nicht sehr gern weder im Gebirge noch am Meer, es ist mir zu heroisch. Aber das sind doch nur Späße und die Schlaflosigkeit ist ernst. Ich bleibe trotzdem noch ein paar Wochen hier oder übersiedle in die Nähe von Bozen.

Herzliche Grüße Max, Oskar und den Frauen, auch Deinen Eltern und dem Bruder. Kommt nicht bald die große Zeit? Alles Gute der tapfern Frau.

Dein Franz




Buches: Friedrich Wichtl, Freimaurerei - Zionismus - Kommunismus Spartakismus - Bolschewismus. Hamburg und Wien, 1920.


Nilus: Diese zuerst von Sergej Nilas in seinem Buch "Das Große im Kleinen oder Nahe ist der herandrängende Antichrist und das Reich des Teufels auf Erden" (1905) zitierten Protokolle wurden später von O. Friedrich und H. Strack als Fälschungen erwiesen.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at