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An M. E.
Arme Minze, arme liebe Minze, ich will niemanden beschuldigen, absichtlich
hat es wohl niemand gemacht, aber da man Sie offenbar sehr gern zuhause
behalten möchte und Sie scheinbar gerade diesen Leuten, die die Reise
nicht wollen, die Reisevorbereitungen überlassen haben, hat man wohl
nicht alles getan, was man hätte tun können. Und warum kann die
Schule die Einreisebewilligung nicht verschaffen? Und wenn sie die Einreisebewilligung
nicht verschaffen kann (aber doch jedenfalls hofft, Sie, wenn Sie einmal
dort sind, dort behalten zu dürfen), warum schreibt sie Ihnen dann
nicht wenigstens einen Brief, aus welchem dem Konsulat nachgewiesen werden
könnte, dass Sie dort nur 2, 3 Tage, etwa zwecks einer Vorstellung
oder einer Prüfung bleiben wollen, und für 2, 3 Tage Aufenthalt
bekämen Sie das Visum auch ohne Einreisebewilligung gewiß. Und
wenn Sie ein paar Schultage versäumt haben, macht es doch nichts.
Nur nachgeben würde ich jetzt nicht mehr, d. h. an meiner Stelle würde
ich nachgeben oder schon längst nachgegeben haben, einem solchen schweren
Angriff großer alter Verwandter, die von allen Seiten herbeikommen,
würde ich nicht widerstehn, aber Sie sind doch kein Hase, Minze.
Das andere freilich - sehen Sie, Minze, dieses Leid kenne ich auch und
alle kennen es und wie wenigen löst es sich in Gutem, aber wahrscheinlich
kenne ich es in einer ganz bestimmten Art weniger als andere Menschen und
Sie kennen es wieder viel mehr als andere Menschen und so will ich mich
darin gar nicht mit Ihnen vergleichen und Ihr Leid tief respektieren wie
jedes fremde Leid. Aber etwas verkennen Sie vielleicht. Jeder hat seinen
beißenden nächtezerstörenden Teufel in sich und das ist
weder gut noch schlecht, sondern es ist Leben: Hätte man den nicht,
würde man nicht leben. Was Sie in sich verfluchen, ist also Ihr Leben.
Dieser Teufel ist das Material (und im Grunde ein wunderbares), das Sie
mitbekommen haben und aus dem Sie nun etwas machen sollen. Wenn Sie auf
dem Land gearbeitet haben, so war das meines Wissens keine Ausflucht, sondern
Sie haben Ihren Teufel hingetrieben so wie man ein Vieh, das sich bisher
nur in den Gassen von Teplitz genährt hat, einmal auf eine bessere
Weide treibt. Auf der Karlsbrücke in Prag ist unter einer Heiligenstatue
ein Relief, das Ihre Geschichte zeigt. Der Heilige pflügt dort ein
Feld und hat in den Pflug einen Teufel eingespannt. Der ist zwar noch wütend
(also Übergangsstadium; solange nicht auch der Teufel zufrieden ist,
ist es kein ganzer Sieg), fletscht die Zähne, schaut mit schiefem
bösem Blick nach seinem Herrn zurück und zieht krampfhaft den
Schwanz ein, aber unter das Joch ist er doch gebracht. Nun sind Sie ja,
Minze, keine Heilige und sollen es auch nicht sein und es ist gar nicht
nötig und wäre schade und traurig, wenn alle Ihre Teufel den
Pflug ziehen sollten, aber für einen großen Teil von ihnen wäre
es gut und es wäre eine große gute Tat, die Sie damit getan
hätten. Ich sage das nicht, weil es nur mir so scheint, - Sie selbst
streben im Innersten danach.
Sie schreiben, dass Sie - wenn die zwei Bewerber "nicht gar
so unsympathisch" wären - heiraten würden, um "Ruhe
und ein Heim" zu haben und vergleichen sich dann mit Ihrer Mutter.
Das ist doch ein Widerspruch, hatte denn Ihre Mutter "Ruhe und Heim"?
"Ruhe und Heim" können eben vielleicht nicht einfach in
Müdigkeit als ein Geschenk hingenommen werden, sondern müssen
verdient werden, müssen etwas sein, zu dem man sagen kann: Das ist
mein Werk. Was für ein "Heim", wenn in allen warmen Zimmerecken
Ihre Teufel sitzen, keiner fehlt und alle: werden immerfort mächtiger
gerade um das, um das Sie schwächer werden.
Doch bestehe ich auf diesem letzteren nicht unbedingt, vielleicht sind
Ihnen die zwei nur deshalb unsympathisch, weil Sie vor der Ehe überhaupt
auch aus Trotz zurückschrecken. Und dann glaube ich doch, dass
Sie in Einem gewiß anders sind als die Mutter; ein eigenes Kind hätte
für Sie eine entscheidende, vielleicht erlösende Bedeutung. Glauben
Sie nicht?
Übrigens tröstet mich noch eines gegenüber Ihrem Brief:
gewiß können Sie - leugnen Sie es nicht, Minze, - noch manchmal
so lachen wie damals auf der Veranda (auf dem Balkon klangs nicht mehr
so hell)
Ihr Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at