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An M. E.

[Präg, März 1920]
 

Arme Minze, arme liebe Minze, ich will niemanden beschuldigen, absichtlich hat es wohl niemand gemacht, aber da man Sie offenbar sehr gern zuhause behalten möchte und Sie scheinbar gerade diesen Leuten, die die Reise nicht wollen, die Reisevorbereitungen überlassen haben, hat man wohl nicht alles getan, was man hätte tun können. Und warum kann die Schule die Einreisebewilligung nicht verschaffen? Und wenn sie die Einreisebewilligung nicht verschaffen kann (aber doch jedenfalls hofft, Sie, wenn Sie einmal dort sind, dort behalten zu dürfen), warum schreibt sie Ihnen dann nicht wenigstens einen Brief, aus welchem dem Konsulat nachgewiesen werden könnte, dass Sie dort nur 2, 3 Tage, etwa zwecks einer Vorstellung oder einer Prüfung bleiben wollen, und für 2, 3 Tage Aufenthalt bekämen Sie das Visum auch ohne Einreisebewilligung gewiß. Und wenn Sie ein paar Schultage versäumt haben, macht es doch nichts. Nur nachgeben würde ich jetzt nicht mehr, d. h. an meiner Stelle würde ich nachgeben oder schon längst nachgegeben haben, einem solchen schweren Angriff großer alter Verwandter, die von allen Seiten herbeikommen, würde ich nicht widerstehn, aber Sie sind doch kein Hase, Minze.

Das andere freilich - sehen Sie, Minze, dieses Leid kenne ich auch und alle kennen es und wie wenigen löst es sich in Gutem, aber wahrscheinlich kenne ich es in einer ganz bestimmten Art weniger als andere Menschen und Sie kennen es wieder viel mehr als andere Menschen und so will ich mich darin gar nicht mit Ihnen vergleichen und Ihr Leid tief respektieren wie jedes fremde Leid. Aber etwas verkennen Sie vielleicht. Jeder hat seinen beißenden nächtezerstörenden Teufel in sich und das ist weder gut noch schlecht, sondern es ist Leben: Hätte man den nicht, würde man nicht leben. Was Sie in sich verfluchen, ist also Ihr Leben. Dieser Teufel ist das Material (und im Grunde ein wunderbares), das Sie mitbekommen haben und aus dem Sie nun etwas machen sollen. Wenn Sie auf dem Land gearbeitet haben, so war das meines Wissens keine Ausflucht, sondern Sie haben Ihren Teufel hingetrieben so wie man ein Vieh, das sich bisher nur in den Gassen von Teplitz genährt hat, einmal auf eine bessere Weide treibt. Auf der Karlsbrücke in Prag ist unter einer Heiligenstatue ein Relief, das Ihre Geschichte zeigt. Der Heilige pflügt dort ein Feld und hat in den Pflug einen Teufel eingespannt. Der ist zwar noch wütend (also Übergangsstadium; solange nicht auch der Teufel zufrieden ist, ist es kein ganzer Sieg), fletscht die Zähne, schaut mit schiefem bösem Blick nach seinem Herrn zurück und zieht krampfhaft den Schwanz ein, aber unter das Joch ist er doch gebracht. Nun sind Sie ja, Minze, keine Heilige und sollen es auch nicht sein und es ist gar nicht nötig und wäre schade und traurig, wenn alle Ihre Teufel den Pflug ziehen sollten, aber für einen großen Teil von ihnen wäre es gut und es wäre eine große gute Tat, die Sie damit getan hätten. Ich sage das nicht, weil es nur mir so scheint, - Sie selbst streben im Innersten danach.

Sie schreiben, dass Sie - wenn die zwei Bewerber "nicht gar so unsympathisch" wären - heiraten würden, um "Ruhe und ein Heim" zu haben und vergleichen sich dann mit Ihrer Mutter. Das ist doch ein Widerspruch, hatte denn Ihre Mutter "Ruhe und Heim"? "Ruhe und Heim" können eben vielleicht nicht einfach in Müdigkeit als ein Geschenk hingenommen werden, sondern müssen verdient werden, müssen etwas sein, zu dem man sagen kann: Das ist mein Werk. Was für ein "Heim", wenn in allen warmen Zimmerecken Ihre Teufel sitzen, keiner fehlt und alle: werden immerfort mächtiger gerade um das, um das Sie schwächer werden.

Doch bestehe ich auf diesem letzteren nicht unbedingt, vielleicht sind Ihnen die zwei nur deshalb unsympathisch, weil Sie vor der Ehe überhaupt auch aus Trotz zurückschrecken. Und dann glaube ich doch, dass Sie in Einem gewiß anders sind als die Mutter; ein eigenes Kind hätte für Sie eine entscheidende, vielleicht erlösende Bedeutung. Glauben Sie nicht?

Übrigens tröstet mich noch eines gegenüber Ihrem Brief: gewiß können Sie - leugnen Sie es nicht, Minze, - noch manchmal so lachen wie damals auf der Veranda (auf dem Balkon klangs nicht mehr so hell)

Ihr Kafka


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at