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An M. E.
Liebe Minze,
man liegt krank, hat zartes Fieber nach alter nicht mehr abzugewöhnender
Gewohnheit, und dann kommen noch Sie und melden, dass man Sie in Ahlem
nicht angenommen hat. Man hätte schon noch ein Plätzchen für
Sie finden können, offenbar weiß man dort nicht, wie klein Sie
sich zusammenrollen können. Inzwischen habe ich auch noch von etwas
anderem Jüdischen gehört, Opladen bei Köln, aber auch dort
ist alles besetzt und nur für das nächste mit April beginnende
Jahr undeutliche Aussichten, vielleicht erfahre ich aber darüber noch
Bestimmteres. Und Immenhof - oder hieß es anders? - hat gar nicht
geantwortet? Und jetzt in Großpriesen praktizieren - von Großpriesen
schweigen Sie beharrlich - und nächstes Jahr nach Ahlem gehn ist unausführbar?
Warum? Inzwischen Gemüse auf Damenhüten pflanzen, ist ein schwacher
Ersatz und kein sehr erfreulicher, da es in Teplitz vor sich geht. Ich
kann Teplitz, das ich noch nie gesehen habe, leicht leiden. Es ist eben
Ihr Heimatort und für einen nur irgendwie beunruhigten Menschen ist
der Heimatort, selbst wenn er sich darüber gern täuscht, etwas
sehr Unheimatliches, ein Ort der Erinnerungen, der Wehmut, der Kleinlichkeit,
der Scham, der Verführung, des Mißbrauchs der Kräfte.
Der Heimatort bringt es auch in seiner gedanklichen Enge mit sich, dass
Sie die Menschen und sich oder vielmehr die andern Mädchen und sich
in einem solchen Gegensatz sehn. Gegensätze bestehn gewiß, weil
eben die Welt hinsichtlich des Chaotischen mit Ihrem Kopf verwandt ist,
aber so einfach wie Sie es tun - hier die andern Mädchen, hier ich
- ist der Schnitt gewiß nicht zu führen. Böses Teplitz.
Mein Kranksein hat den Brief verzögert, es ist übrigens kein
eigentliches Kranksein, aber allerdings auch kein Gesundsein und gehört
zu jener Gruppe von Krankheiten, die nicht dort ihren Ursprung haben, wo
sie zu stecken scheinen und vor denen die Ärzte deshalb noch hilfloser
sind als sonst. Gewiß, es ist die Lunge, aber es ist auch wieder
die Lunge nicht. Vielleicht fahre ich doch nach Meran oder auch nach dem
Mond, wo überhaupt keine Luft ist und sich die Lunge deshalb am besten
ausruhn kann.
Die Bilder haben mich sehr gefreut, zunächst deshalb, weil es doch
ein großes Zeichen des Vertrauens ist, dass Sie mir etwas so
Kostbares, wie es das Bild des Vaters für Sie ist, borgen. Natürlich
ist bei der Reproduktion manches verloren gegangen, es ist doch nur ein
Bild aus zweiter Hand. Manches aber glaubt man doch zu erkennen, eine schöne
Stirn, zarte Schläfen, Energie, ein mühseliges Leben. Merkwürdig
ist die gezwungene Haltung der Hände.
Das Kind ist prachtvoll. Der Körper so schön tierhaft wie ein
Seehund auf einer Eisscholle im Polarmeer, das Gesicht so schön menschlich,
übrigens eher mädchenhaft, der Ausdruck der Augen, die Fülle
des Mundes. Das mag allerdings ein guter Trost sein, gar wenn es das eigene
Kind ist und der Neffe ist ja fast das Kind der Tante. Aber in Teplitz
sollen Sie sich auch von den schönsten zwei Händchen nicht festhalten
lassen.
Ihr Kafka.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at