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An M. E.
Liebe Minze, gewiß darf man solche Briefe schicken und ganz besonders
solche. Andere, zusammenhängendere, weniger zerstreute Briefe können
oft wider Willen eine Hauptsache verdecken, ein solcher brüchiger,
aus paar Stücken bestehender Brief verdeckt nichts, es liegt dann
wirklich nur an der Blickkraft, wie viel man sieht, ein solcher Brief ist
so vertraulich, als wäre man in einer gemeinsamen Wohnung, allerdings
durch 1000 Zimmer getrennt, deren Türen aber in einer Reihe offenstehn,
so dass man Sie, wenn auch natürlich nur schon sehr klein und
undeutlich, im letzten Zimmer sieht und was man sieht, Minze, scheint weder
sehr schön, noch sehr lustig, noch sehr gut.
Im übrigen, Minze, sind Sie (oder vielmehr wären es, wenn man
es ausnützte) scharfsinnig und mit Recht rechthaberisch wie ein kleiner
Rabbiner. Natürlich werden Sie den notwendigen Halt nicht in der Schule
eingerammt bekommen, sondern müssen ihn in sich haben, aber vielleicht
werden Sie ihn dort in sich finden, das wäre ganz gut denkbar. Denn
so übersichtlich Minze äußerlich scheint, innerlich ist
sie doch, wie eben jeder, unübersehbar unendlich und alles ist dort
zu finden, was ehrlich gesucht wird.
Vor mir liegt ein Bericht über die "Ahlemer Gartenbauschule"
mit Bildern. Nun dort ist es prachtvoll und zu meinem nächsten Geburtstag
wünsche ich mir nichts Besseres als 19jährig zu werden und nach
Ahlem - das ist nämlich Ihre Simonsche Schule - zu kommen. Die Gartenbauschule
für Mädchen ist übrigens erst seit Kriegsende eingerichtet,
bis dahin gab es nur eine Knabengartenbau und eine Mädchenhaushaltungsschule.
Auch das verstärkt vielleicht die Hoffnung, dass Sie angenommen
werden. Möge es bald sein!
Ihr Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at