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[Stempel: Praha, 13.12.20]

[An.] Dr Max Brod per Adr. Ewer-Buchhandlung Berlin W-15 Knesebeckstraße 54 [weitergeleitet an: Hotel Koschel Berlin W-30 Motzstraße 78]

[Abs.:] Dr. Kafka Prag Pořič 7


Das war sehr lieb von Dir, Max, ich will Dir gleich dafür danken. Als ich oben bei Deiner Frau war und den kleinen Zettel, die Grimmensteiner Aufenthaltsbewilligung, in der Hand drehte, war es mir wie ein großes Geschenk. Ich möchte es nicht ungeschehn machen, trotzdem ich nicht nach Gr. fahre. Ich fahre nicht hin, weil ich mich nicht überwältigen kann oder vielmehr weil es mich überwältigt. Es war in keiner Hinsicht leicht die Reiserichtung zu ändern, jetzt ist es vorüber. Ich fahre nach Tatranské Matliary (Badedirektion Forberger), wenigstens vorläufig, sollte es dort nicht gut sein, übersiedle ich in das etwa 1 Stunde davon entfernte Szontaghs Sanatorium, Nový Smokovec. Ich fahre am 18ten fort, hätte Dich noch gern in Prag gesehn, wollte aber doch nicht länger mehr warten.

    Deine Frau hat viel und klug und bitter und süß, so wie sie in ihrer besondern manchmal rührenden Art Bitterkeit und Süße im Urteil zu verteilen pflegt, von der Reise erzählt, ich hatte, auch aus den Kritiken, den Eindruck, dass der Erfolg rein war und ohne Störung Deiner Absichten. "Esther" scheint merkwürdig für ihn vorgearbeitet zu haben.

    Aus der Tatra schreibe ich Dir. Ottla fährt übrigens für paar Tage mit.

    Alles Gute!

Franz        


Herzliche Grüße Deiner Schwester, Schwager und Thea.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


"Volkskönig": Ein Drama von Arno Dvořák (1881-1933), das in Brods Übersetzung aus dem Tschechischen 1914 bei Kurt Wolff erschienen war.


Grimmensteiner Aufenthaltsbewilligung: Kafka hatte sich seit einiger Zeit (siehe M 240) mit dem Gedanken getragen, in das Sanatorium in Grimmenstein (südlich von Wien) zu fahren.


der Reise: Nach Königsberg, wo Brods Schauspiel Die Fälscher (siehe 1919 Anm.13 ) am 1. Dezember 1920 mit großem Erfolg im Neuen Schauspielhaus uraufgeführt worden war.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at