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[An Ottla Kafka]

[Stempel: Liboch - 24. II. 19]
 


Aber Ottla was sollte ich denn gegen die Reise haben, im Gegenteil, diese jederzeitige und sofortige Reisebereitschaft ist ausgezeichnet. Nur die Begründung hat mir gar nicht gefallen, weil es keine war. Was soll mit der Mutter über einen Posten gesprochen werden, den Du nicht hast, es wäre denn dass Du mit der Mutter darüber sprechen wolltest, dass Du keinen Posten suchen willst. Aber Du willst doch einen Posten suchen. Oder doch nicht? Auch die Laune des Vaters war mir ein zu merkwürdiger Grund, besonders da sie vom Fräulein beobachtet war, zu der er immer freundlich ist und hinter der er donnert, wenn sie die Tür schließt oder gar offen läßt. Und dass schließlich das Leben kurz ist, spricht nicht weniger für die Fahrt, als gegen sie. Das waren die Gründe; wenn Du aber sagst dass Du fährst, weil Du Dich freust, alle und einen wiederzusehn, so habe ich natürlich gegen die Reise gar nichts, besonders wenn Du mir dafür bürgen kannst, dass die Vorfreude, die Reise und die Nachtrauer nicht die kleinste Mitschuld daran haben wird, wenn Du den Vortrag nicht zustande bringst.

Den Direktor scheinst Du sehr gut zu beobachten, aber nach Deinen Ergebnissen scheint von der Unterredung wirklich nicht viel zu erwarten zu sein. Solchen Menschen kommt man vielleicht besser als durch feierliche Unterredungen dadurch bei, dass man die Sache, um die es sich handelt, lieber nur nebenbei erwähnt, aber nicht einmal, sondern 25 mal und bei den unerwartetesten Gelegenheiten. Die Hauptvoraussetzung des Gelingens ist allerdings, dass er überhaupt, auch wenn er den Willen hätte, helfen kann.

Hier ist jetzt auch sehr warm und schön, noch jetzt gegen Abend sitze ich ohne Decken auf der Veranda und gemittagmahlt habe ich bei offenem Fenster im Sonnenschein. Unten vor dem Fenster, Meta und Rolf, die Hunde, die auf mein Erscheinen oben mit den Resten des Essens gewartet haben, wie die Leute auf dem Altstädter Ring die Apostel erwarten.

Letzthin habe ich wieder allerdings mittelbar von Dir geträumt. Ich führte in einem Kinderwagen ein kleines Kind herum, dick, weiß und rot (das Kind eines Anstaltsbeamten) und fragte es, wie es heißt. Es sagte: Hlavatá (Name eines andern Anstaltsbeamten) "Und wie mit dem Vornamen?" fragte ich weiter. "Ottla" "Aber" sagte ich staunend "ganz so wie meine Schwester. Ottla heißt sie und hlavatá ist sie auch". Aber ich meinte das natürlich gar nicht böse, eher stolz.

Was Max betrifft, so dachte ich nicht an eine bestimmte Bemerkung, sondern an alle zusammen und ihren gemeinsamen Grund. Er meint doch (abgesehen davon, dass er darin auch noch einem Verlust des Judentums und Dein Verlieren des Judentums für Dich und die Zukunft beklagt, aber darin sehe ich nicht genug klar) dass Du etwas außerordentliches, etwas außerordentlich schweres tust, das Dir aber natürlich auf der einen Seite, der Herzensseite, sehr leicht fällt, so dass Du das Außerordentliche auf der andern Seite übersiehst. Das nun glaube ich aber nicht und habe deshalb keinen solchen Grund zu klagen.

Grüß alle in Prag von mir und mach bitte durch richtige für den einzelnen Fall passende Bemerkungen das gut, was ich durch ungenügendes oder Nichtschreiben schlecht gemacht habe.

Dein Franz




Aber Du willst doch einen Posten suchen: "Es gibt keinen einzigen Gegenstand, der nicht interessant wäre und nach allem, was ich sehe und höre, kann ich urteilen, dass die Beschäftigung, die ich gewählt habe und die, wie ich hoffe, sich verwirklichen läßt, vielleicht die einzige ist, die mir in jeder Beziehung gut und freudevoll zu sein scheint. Ein wenig Sorgen habe ich damit, ob ich eine Stelle bekomme; dass es mir überall gefallen wird, daran zweifle ich nicht." (Ottla an David am 14. I. 1919)


Den Direktor: Am 12. I. 1919 berichtete Ottla an David, sie wolle wegen einer Stelle beim Direktor vorsprechen, hatte aber noch am 21. dieses Monats ihre Absicht nicht durchgeführt ("er ist überarbeitet, unruhig, und ich will ihm mit meiner Sache nicht in den Weg kommen"). Am 8. III. schreibt sie dann: "Ich war beim Direktor und sah wiederum, dass es ein Fehler wäre, sich auf ihn zu verlassen. Er verspricht gern und vergißt leicht."


auf der Veranda: Vgl. die Abbildung der Pension Stüdl in Schelesen in: K. Wagenbach, Franz Kafka in Selbstzeugnissen und Bild dokumenten, (Reinbek 1964), S. 115. Auf den "Ansichten aus meinem Leben" (Nr. 64) stellt die Zeichnung links unten die genannte Veranda dar. Die weibliche Figur ist mit Olga Stüdl zu identifizieren.


die Apostel: Oberhalb der aus Kalender- und Uhrenscheibe bestehenden astronomischen Uhr am Altstädter Rathausturm in Prag befinden sich zwei kleine Fensteröffnungen, in denen um 12 Uhr die zwölf Apostel erscheinen. Vgl. M 49.


Hlavatá : dickköpfig, vgl. KO 428 ff.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at