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[An Ottla Kafka]
Aber Ottla was sollte ich denn gegen die Reise haben, im Gegenteil, diese
jederzeitige und sofortige Reisebereitschaft ist ausgezeichnet. Nur die
Begründung hat mir gar nicht gefallen, weil es keine war. Was soll
mit der Mutter über einen Posten gesprochen werden, den Du nicht hast,
es wäre denn dass Du mit der Mutter darüber sprechen wolltest,
dass Du keinen Posten suchen willst. Aber Du willst doch
einen Posten suchen. Oder doch nicht? Auch die Laune des Vaters war
mir ein zu merkwürdiger Grund, besonders da sie vom Fräulein
beobachtet war, zu der er immer freundlich ist und hinter der er donnert,
wenn sie die Tür schließt oder gar offen läßt. Und
dass schließlich das Leben kurz ist, spricht nicht weniger für
die Fahrt, als gegen sie. Das waren die Gründe; wenn Du aber sagst
dass Du fährst, weil Du Dich freust, alle und einen wiederzusehn,
so habe ich natürlich gegen die Reise gar nichts, besonders wenn Du
mir dafür bürgen kannst, dass die Vorfreude, die Reise und
die Nachtrauer nicht die kleinste Mitschuld daran haben wird, wenn Du den
Vortrag nicht zustande bringst.
Den Direktor scheinst Du sehr gut zu beobachten, aber
nach Deinen Ergebnissen scheint von der Unterredung wirklich nicht viel
zu erwarten zu sein. Solchen Menschen kommt man vielleicht besser als durch
feierliche Unterredungen dadurch bei, dass man die Sache, um die es
sich handelt, lieber nur nebenbei erwähnt, aber nicht einmal, sondern
25 mal und bei den unerwartetesten Gelegenheiten. Die Hauptvoraussetzung
des Gelingens ist allerdings, dass er überhaupt, auch wenn er
den Willen hätte, helfen kann.
Hier ist jetzt auch sehr warm und schön, noch jetzt gegen Abend sitze
ich ohne Decken auf der Veranda und gemittagmahlt habe
ich bei offenem Fenster im Sonnenschein. Unten vor dem Fenster, Meta und
Rolf, die Hunde, die auf mein Erscheinen oben mit den Resten des Essens
gewartet haben, wie die Leute auf dem Altstädter Ring die
Apostel erwarten.
Letzthin habe ich wieder allerdings mittelbar von Dir geträumt. Ich
führte in einem Kinderwagen ein kleines Kind herum, dick, weiß
und rot (das Kind eines Anstaltsbeamten) und fragte es, wie es heißt.
Es sagte: Hlavatá (Name eines andern Anstaltsbeamten) "Und
wie mit dem Vornamen?" fragte ich weiter. "Ottla" "Aber"
sagte ich staunend "ganz so wie meine Schwester. Ottla heißt
sie und hlavatá ist sie auch". Aber ich meinte
das natürlich gar nicht böse, eher stolz.
Was Max betrifft, so dachte ich nicht an eine bestimmte Bemerkung, sondern
an alle zusammen und ihren gemeinsamen Grund. Er meint doch (abgesehen
davon, dass er darin auch noch einem Verlust des Judentums und Dein
Verlieren des Judentums für Dich und die Zukunft beklagt, aber darin
sehe ich nicht genug klar) dass Du etwas außerordentliches,
etwas außerordentlich schweres tust, das Dir aber natürlich
auf der einen Seite, der Herzensseite, sehr leicht fällt, so dass
Du das Außerordentliche auf der andern Seite übersiehst. Das
nun glaube ich aber nicht und habe deshalb keinen solchen Grund zu klagen.
Grüß alle in Prag von mir und mach bitte durch richtige für
den einzelnen Fall passende Bemerkungen das gut, was ich durch ungenügendes
oder Nichtschreiben schlecht gemacht habe.
Dein Franz
Aber Du willst doch einen Posten suchen: "Es
gibt keinen einzigen Gegenstand, der nicht interessant wäre und nach
allem, was ich sehe und höre, kann ich urteilen, dass die Beschäftigung,
die ich gewählt habe und die, wie ich hoffe, sich verwirklichen läßt,
vielleicht die einzige ist, die mir in jeder Beziehung gut und freudevoll
zu sein scheint. Ein wenig Sorgen habe ich damit, ob ich eine Stelle bekomme;
dass es mir überall gefallen wird, daran zweifle ich nicht."
(Ottla an David am 14. I. 1919)
Den Direktor: Am 12. I. 1919 berichtete Ottla an
David, sie wolle wegen einer Stelle beim Direktor vorsprechen, hatte aber
noch am 21. dieses Monats ihre Absicht nicht durchgeführt ("er
ist überarbeitet, unruhig, und ich will ihm mit meiner Sache nicht
in den Weg kommen"). Am 8. III. schreibt sie dann: "Ich war
beim Direktor und sah wiederum, dass es ein Fehler wäre, sich
auf ihn zu verlassen. Er verspricht gern und vergißt leicht."
auf der Veranda: Vgl. die Abbildung der Pension
Stüdl in Schelesen in: K. Wagenbach, Franz Kafka in Selbstzeugnissen
und Bild dokumenten, (Reinbek 1964), S. 115. Auf den "Ansichten aus
meinem Leben" (Nr. 64) stellt die Zeichnung links unten die genannte
Veranda dar. Die weibliche Figur ist mit Olga Stüdl zu identifizieren.
die Apostel: Oberhalb der aus Kalender- und Uhrenscheibe
bestehenden astronomischen Uhr am Altstädter Rathausturm in Prag befinden
sich zwei kleine Fensteröffnungen, in denen um 12 Uhr die zwölf
Apostel erscheinen. Vgl. M 49.
Hlavatá : dickköpfig, vgl. KO 428 ff.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at