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[An Ottla Kafka]

[Prag, 5. Mai 1918]
 


Liebe Ottla, eigentlich läßt sich noch nichts sagen, ich bin ja noch nicht eingerichtet (in Deinem Zimmer wohl, aber in der Stadtnoch nicht) Der Atem ist etwas schlechter, aber wahrscheinlich deshalb weil ich hier schneller gehe (es ist auch schon besser geworden), der Schlaf ist sehr schlecht, ich war die ersten Tage kaum recht wach, aber das wird doch nur Übergang sein - und was alles übrige betrifft, so kann ich nur sagen, dass ich bis jetzt die Übersiedlung ihrem Wesen nach nicht bereue, Dich aber würde ich gerne wieder einmal sehn und am Ohr zupfen, bei Elli habe ich es versucht aber es ist nicht das Richtige.

Franz


Grüße herzlich Frl. Greschl von mir, auch Frl. David. Hr. Hermann natürlich auch. Für den Garten weiß ich nichts neues, nur den beiliegenden Jauchedüngungsratschlag. Seitdem ich heute zufällig in die Schrebergärten hinter Baumgarten gekommen bin, bin ich auf unsern Garten nicht mehr so stolz (ohne ihn deshalb weniger gern zu haben). Was wir dort gemacht haben, kann und tut fast jeder. Die Schrebergärten sind etwa jeder halb so groß wie unser Garten, die meisten sind gut, viele aber ausgezeichnet bearbeitet. - Ja, der Plan: von den unglücklichen Karotten (1) angefangen, 2: Möhren, 3 Zwiebeln, Salat 4 Spinat Radieschen 5 Pflanzen, 6 Pfl. und Fräulein 6 Erbsen 7 Zwiebeln (1 Reihe Steck- zwei Reihen Samenzwiebeln, dazwischen Knoblauch und Radieschen - nein ich kann nicht weiter, es verwirrt sich mir, aber Du erkennst es ja.

Wir schicken Dir durch Karl 490 K - davon ich 380 K - und die Mutter 110 K es ist nach Deiner beiliegenden Aufstellung mit einer Differenz von 3 K zu Deinen Gunsten.

Eine Bitte des Herrn Oberinspektor: er wird im Laufe dieses Monats einmal durch Michelob fahren. Könnte man ihm dann auf telegraphische Benachrichtigung hin 2-3 Schock Eier zum Zug schicken?




Nachschrift zu einem (von Karl Hermann überbrachten) Brief der Mutter an Ottla. - Am 2. Mai hatte Kafka wieder seinen Dienst in der "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt" angetreten.


am Ohr zupfen: Vgl. Nr. 86 und 97.


Frl. Greschl: Vielleicht das in Br 204 beschriebene Bauernmädchen.


Frl. David: Ottla hatte sich mit Ella David, der Schwester ihres späteren Mannes, inzwischen angefreundet. Am 27. IV. 1918 schrieb sie an Josef David: "Sie ist mir lieb, nicht nur darum, weil sie Deine Schwester ist; ich würde mich gewiß vor nur einer solchen Liebe fürchten, aber so wie es ist, ist es schön für mich und ich kann mich freuen." Vgl. auch Nr. 53.


Baumgarten: Von Kafka geschätzte parkartige Anlage in Prag, an der Bahnlinie nach Dresden, mit mehr als hundert verschiedenen (mit Schildern gekennzeichneten) Baumgattungen. (Vgl. T 539, F 558 und 571)


auf unsern Garten nicht mehr so stolz: Kafka hatte sich in Zürau besonders für den Garten verantwortlich gefühlt und öfters darin gearbeitet: "Es ist dort schön, ich arbeitete dort heute mit dem Bruder von ein Uhr bis acht Uhr abends. Es war schon fast dunkel. Wir haben Gemüsesetzlinge gesetzt, und ich habe zwei Beete umgegraben." (Ottla an David am 27. IV. 1918, vgl. Br 201, 233, 237 und 240). Als Folge dieser Arbeit half Kafka im Sommer in Troja, einem Vorort von Prag, bei leichten Gartenarbeiten. Vgl. Br 243.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at