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[Das vierte Oktavheft: 9. Februar 1918; Montag]


9. Februar. Die Windstille an manchen Tagen, der Lärm der Ankommenden, wie die unsrigen aus den Häusern hervorlaufen, sie zu begrüßen, hie und da Fahnen ausgehängt werden, man in die Keller eilt, Wein zu holen, aus einem Fenster eine Rose aufs Pflaster fällt, niemand Geduld kennt, die Boote von hundert Armen gleich festgehalten ans Land stoßen, die fremden Männer sich umblicken und in das volle Licht des Platzes emporsteigen.


Warum ist das Leichte so schwer? An Verführungen hatte ich-.


Laß die Aufzählung. Das Leichte ist schwer. Es ist so leicht und so schwer. Wie ein Jagdspiel, bei dem der einzige Ruheplatz ein Baum jenseits des Weltmeeres ist.


Aber warum sind sie von dort ausgewandert? - An der Küste ist die Brandung am stärksten, so eng ist ihr Gebiet und so unüberwindlich.


Nichtfragen hätte dich zurückgebracht, Fragen treibt dich noch ein Weltmeer weiter. - Nicht sie sind ausgewandert, sondern du.


Immer wieder wird mich die Enge bedrücken.


Ewigkeit ist aber nicht das Stillstehn der Zeitlichkeit.


Was an der Vorstellung des Ewigen bedrückend ist: die uns unbegreifliche Rechtfertigung, welche die Zeit in der Ewigkeit erfahren muß und die daraus folgende Rechtfertigung unserer selbst, so wie wir sind.


Wieviel bedrückender als die unerbittlichste Überzeugung von unserem gegenwärtigen sündhaften Stand ist selbst die schwächste Überzeugung von der einstigen, ewigen Rechtfertigung unserer Zeitlichkeit. Nur die Kraft im Ertragen dieser zweiten Überzeugung, welche in ihrer Reinheit die erste voll umfaßt, ist das Maß des Glaubens.


Manche nehmen an, daß neben dem großen Urbetrug noch in jedem Fall eigens für sie ein kleiner besonderer Betrug veranstaltet wird, daß also, wenn ein Liebesspiel auf der Bühne aufgeführt wird, die Schauspielerin außer dem verlogenen Lächeln für ihren Geliebten auch noch ein besonders hinterhältiges Lächeln für den ganz bestimmten Zuschauer auf der letzten Galerie hat. Das heißt zu weit gehen.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at