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[Das vierte Oktavheft: 7. Februar 1918; Montag]


7. Februar. Soldat mit Steinen, Insel Rügen.


Müdigkeit bedeutet nicht notwendig Glaubensschwäche oder doch? Müdigkeit bedeutet jedenfalls Ungenügsamkeit. Es ist mir zu eng in allem, was Ich bedeutet, selbst die Ewigkeit, die ich bin, ist mir zu eng. Lese ich aber zum Beispiel ein gutes Buch, etwa eine Reisebeschreibung, erweckt es mich, befriedigt es mich, genügt es mir. Beweis dafür, daß ich vorher dieses Buch in meine Ewigkeit nicht mit einschloß oder nicht zur Ahnung jener Ewigkeit vorgedrungen war, die auch dieses Buch notwendigerweise umschließt. - Von einer gewissen Stufe der Erkenntnis an muß Müdigkeit, Ungenügsamkeit, Beengung, Selbstverachtung verschwinden, nämlich dort, wo ich das, was mich früher als ein Fremdes erfrischte, befriedigte, befreite, erhob, als mein eigenes Wesen zu erkennen die Kraft habe.


Aber wie, wenn es nur als ein vermeintlich Fremdes diese Wirkung hatte und du mit der neuen Erkenntnis nicht nur in dieser Hinsicht nichts gewinnst, sondern auch noch den alten Trost verlierst? Gewiß hatte es nur als Fremdes diese Wirkung, aber nicht nur diese, sondern weiterwirkend hat es mich auch zu dieser höhern Stufe erhoben. Es hat nicht aufgehört, fremd zu sein, sondern nur überdies angefangen, Ich zu sein. - Aber die Fremde, die du bist, ist nicht mehr fremd. Damit leugnest du die Weltschöpfung und widerlegst dich selbst.


Ich sollte Ewigkeit begrüßen und bin, wenn ich sie finde, traurig. Ich sollte durch Ewigkeit mich vollkommen fühlen und fühle mich hinabgedrückt?


Du sagst: ich sollte-fühlen; damit drückst du ein Gebot aus, das in dir ist?


So meine ich es.


Nun ist es aber nicht möglich, daß nur ein Gebot in dich gelegt ist, in der Weise, daß du dieses Gebot nur hörst und sonst nichts geschieht. Ist es ein fortwährendes oder nur ein zeitweiliges Gebot?


Das kann ich nicht entscheiden, doch glaube ich, daß es ein fortwährendes Gebot ist, ich aber nur zeitweilig es höre.


Woraus schließest du das?


Daraus, daß ich es gewissermaßen höre, auch wenn ich es nicht höre, in der Weise, daß es nicht selbst hörbar wird, aber die Gegenstimme dämpft oder allmählich verbittert, die Gegenstimme nämlich, welche mir die Ewigkeit verleidet.


Und hörst du ähnlich auch die Gegenstimme dann, wenn das Gebot zur Ewigkeit spricht?


Wohl auch, ja manchmal glaube ich, ich höre gar nichts anderes als die Gegenstimme, alles andere sei nur Traum und ich ließe den Traum in den Tag hineinreden.


Warum vergleichst du das innere Gebot mit einem Traum? Scheint es wie dieser sinnlos, ohne Zusammenhang, unvermeidlich, einmalig, grundlos beglückend oder ängstigend, nicht zur Gänze mitteilbar und zur Mitteilung drängend?


Alles das; - sinnlos, denn nur wenn ich ihr nicht folge, kann ich hier bestehen; ohne Zusammenhang, ich weiß nicht, wer es gebietet und worauf er abzielt; unvermeidlich, es trifft mich unvorbereitet und mit der gleichen Überraschung wie das Träumen den Schlafenden, der doch, da er sich schlafen legte, auf Träume gefaßt sein mußte. Es ist einmalig oder scheint wenigstens so, denn ich kann es nicht befolgen, es vermischt sich nicht mit dem Wirklichen und behält dadurch seine unberührte Einmaligkeit; es beglückt und ängstigt grundlos, allerdings viel seltener das erste als das zweite; es ist nicht mitteilbar, weil es nicht faßbar ist und es drängt zur Mitteilung aus demselben Grunde.


Christus, Augenblick.




Christus, Augenblick: Hinweis auf Kierkegaards Flugschriften »Der Augenblick« (Band 12 der Diederichs'schen Ausgabe).



Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at