Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felix Weltsch

[Turnau, September 1918]
 

Lieber Felix, allererstes Ergebnis nach einer Unterredung mit dem sehr vernünftigen Hausfräulein und nach eigenen Erfahrungen. In der Umgebung dürfte sich kaum etwas finden, denn die Waldhotels schließen schon, soweit sie nicht schon geschlossen haben oder gar nicht eröffnet hatten. Auch dürfte sich Deine Schwester im späten Herbst oder Winter, selbst wenn eine ganz unwahrscheinliche Aufnahme dort zu erreichen wäre (was nur bei sehr engen persönlichen Beziehungen möglich wäre) sehr verlassen fühlen. Im übrigen sollen auch diese Hotels große Not (gar an Kohle) haben, während in Turnau selbst immerhin noch etwas zusammenkommt.

Diese Überlegungen führen zu meinem Hotel, an das ich gleich dachte, und das Fräulein hat mir zumindest nicht abgeredet. Vorzüge des Hotels: gute Führung, große Reinheit, meiner Meinung nach ausgezeichnete Küche. Nachteile, aber nicht nur dieses Hotels: ausschließlich Fleischkost (diese allerdings nach Belieben reichlich) und Eier; im seltensten Fall etwas anderes, nicht einmal Gemüse bekommt man.

Milch und Butter habe ich bisher, trotz des Angebotes guter Seife und Zigaretten, nicht in der allergeringsten Menge bekommen und habe schon die verschiedenartigsten Versuche gemacht. Frauen sind allerdings in dieser Hinsicht geschickter. Das Brot, das die Gemeinde gibt, ist sehr schlecht und wird noch schlechter werden, ich vertrage es gar nicht.

Die Wälder sind sehr schön, den Wäldern von Marienbad ganz ebenbürtig, überall schöne aufmunternde Ausblicke.

Noch ein Vorteil Turnaus: ausgezeichnete Apfel und Birnen. Deine Schwester kann, glaube ich, nicht sehr gut tschechisch, das erschwert allerdings ein wenig den Aufenthalt hier, aber nicht im Hotel, wo es viele Gäste aus Nordböhmen gibt, Reichenberger Zeitung, Prager Tagblatt, "Zeit" gehalten wird, eine deutsche Speisekarte gereicht wird.

Preise, allerdings nur die augenblicklichen: Zimmer 3 Kronen, Rindfleisch mit Sauce und Kartoffeln 4.50, Schweinsbraten Knödel Kraut 11 Kronen, Kalbsbraten 7-9 Kronen, Zwetschkenknödel (große Ausnahme) 4 Kronen, Rühreier mit Kartoffel 6 Kronen udgl.

Vielleicht gibt es bei längerem Aufenthalt besondere Preise, mir hat sie der Wirt am ersten Tag unter großem Geschrei und Gelächter verweigert, wir sind aber schon wieder versöhnt.

Das wäre alles, ich werde mich aber noch weiter umsehn. Herzliche Grüße

Franz


[Auf separatem Blatt:] Lieber Felix, ein Nachtrag: In Kacanow bei Turnau gibt es ein Hotel-Pensionat, welches erstaunlicherweise hier plakatiert, um Gunst des Publikums bittet u. s. f. Ich bin heute nachmittag hingegangen, es ist eine Wegstunde von Turnau entfernt, ein hübsches geräumiges Haus, rings von Anhöhen mit Wäldern und Wiesen umgeben, selbst nicht allzu tief, mit Fenstern gegen Süden. Es hat einen neuen Pächter, einen Mann, mit dem man reden kann, er ist offenbar strebsam, scheint aber bisher außer der Plakatierung dort nichts Größeres unternommen zu haben, das Haus macht einen verlassenen Eindruck, nur Getränke sind zu haben, Essen nicht. Er erklärt es damit, dass er seine Frau noch nicht dort hat, sie ist noch in der früher von ihm gepachteten Wirtschaft, kommt aber in vierzehn Tagen, dann wird er auch Genaueres über Verköstigung und Preise sagen können, er behauptet aber schon jetzt, dass er Deine Schwester dann wird aufnehmen können. Eine sehr unsichere und noch genau nachzuprüfende Sache ist es gewiß.

Nähere Auskünfte über Turnau bekommst Du mündlich, ich weiß ja vorläufig noch nicht, wie es eigentlich Deiner Schwester geht. Samstag oder Sonntag bin ich schon in Prag. Vielleicht komme ich Sonntag nachmittag zu Dir oder komm Montag ins Bureau zu mir. Herzliche Grüße

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at