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[Schelesen, Anfang Dezember 1918. Stempel Loboch, Datum nicht lesbar, östereichische Briefmarken]

[An.] Pan Dr. Max Brod poštovní koncipista Praha Pštovní ředitelství

[Abs.:] Dr Kafka Schelesen b. Liboch Pension Stüdl


Lieber Max, Schade dass ich Dich letzthin nicht zuhause getroffen habe, übrigens werde ich bald kommen, vielleicht schon Weihnachten, anfangs Jänner gewiß. So gut wie in Zürau ist es hier nicht, wenn auch gar nicht schlecht natürlich, und lehrreich wie überall. Außerdem erstaunlich billig; 6 frc. pro Tag bei dem nach den Zeitungen in Wien jetzt üblichen Umrechnungskurs von 1K = 10 ctm.) Den Fragebogen lege ich bei, ich lerne fast gar nichts, der Tag ist kurz, Petroleum ist wenig und viele Stunden liege ich im Freien. Nicht einmal meine Bücher lese ich, nur aus der Hausbibliothek (in der es auch "Tycho Brahe" gibt) die "Geschichte meines Lebens" von Meissner, ein außerordentlich lebendiges und aufrichtiges Buch mit unaufhörlichen selbsterlebten Charakteristiken und Anekdoten der ganzen politischen und literarischen böhmisch-deutsch-französisch-englischen Welt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts und in politischer Hinsicht von einer geradezu blendenden Aktualität. Leb wohl, grüß die Frau und Felix und Oskar. Hast Du reklamiert?

Franz        
 


[Beiliegend zwei Briefseiten mit Fragen, hebräische Grammatikprobleme betreffend; vieles in hebräischer Schrift.]



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Meissner: Alfred Meißner (1822-1885), aus dessen Geschichte meines Lebens Kafka 1920 eine Anekdote nacherzählt hat (M 24 f.).


reklamiert: Siehe den vorangehenden Brief.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at