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[Stempel: Flöhau, 28.1.18]

[An.] Herrn Dr Max Brod k.k. Postkoncipist Prag k.k. Postdirktion

[Abs.:] Dr Kafka Zürau P. Flöhau b. Podersam


Lieber Max, in Deiner Sache sage ich, solange ich Deine Antwort nicht habe, nur noch das: Auch ich glaube an eine Führerschaft der Frau, so wie sie sie z. B. im Sündenfall gezeigt hat und wo man sie ihr, wie vielleicht meistens, schlecht gelohnt hat. Auch Deine Frau z. B. ist in diesem Sinne Führerin, indem sie Dich gewissermaßen über ihren eigenen Leib weg zu der andern führt; dass sie, nachdem sie geführt hat, Dich dann hält, gehört in eine andere Kategorie, ja vielleicht führt sie dann erst recht. Recht hast Du, wenn Du sagst, dass mir das Tiefere des eigentlichen Sexuallebens verschlossen ist; das glaube ich auch. Darum weiche ich aber auch der Beurteilung dieses Teiles Deines Falles aus oder beschränke mich nur auf die Feststellung, dass dieses Feuer, das Dir heilig ist, nicht genug Kraft hat, die mir schon verständlichen Widerstände zu verbrennen. Warum der Dante-Fall so gedeutet werden muß, wie Du es tust, weiß ich nicht, aber selbst wenn es so wäre, ist es doch ein ganz anderer Fall als der Deine, wenigstens wie er sich bisher entwickelt hat: ihm starb sie weg, Du aber läßt sie Dir wegsterben, indem Du Dich gezwungen fühlst, auf sie zu verzichten. Übrigens hat auch Dante in seiner Art auf sie verzichtet und freiwillig eine andere geheiratet, was nicht für Deine Deutung spricht.

    Aber komm nur, komm, um das zu widerlegen. Nur maßt Du rechtzeitig vorher telegraphieren, damit wir Dich abholen können und damit nicht etwa Dein Besuch mit meiner Abreise (wenn ich wider Erwarten doch nach Prag zur Stellung fahren müßte, gegen Mitte Feber) zusammenfällt. Auch die Gleichzeitigkeit Deines Besuches und jenes meines Schwagers, der Anfang Feber kommen soll, möchte ich vermeiden, was sich übrigens, wie mir jetzt einfällt, ohne weiters machen läßt, da er gewiß nicht für einen Sonntag, wie Du wohl, kommen wird. Also es besteht, wenn Du vorher telegraphierst, für den ganzen Feber kein Hindernis und wenn Ottla hier wäre ( sie ist in Prag, wird Dich wohl Montag aufsuchen und wegen Deiner Vortragsreise nicht finden) würde sie gar nicht genug (für sich genug) Verlockungen aufzählen können, um Dich herzulocken. Du fährst, wenn Du nicht etwa schon Samstag morgens fahren kannst (aber in diesem Fall wäre es besser schon Freitag nachmittag wegzufahren), Samstag nach 2 Uhr vom Staatsbahnhof weg und bist um ½6 in Michelob, wo wir Dich mit den Pferden erwarten. (Sonntag allein genügt jetzt für die Reise nicht mehr, da der Frühschnellzug nicht mehr in Michelob hält, seit dem 1. Jänner.)

    Für die Manuskriptabschriften (die ich übrigens, wenigstens für Kornfeld nicht mehr brauche, da ich einen andern Ausweg gefunden habe) und die große Drucksachensendung danke ich sehr, auch dafür, dass Du Wolff an mich erinnert hast. Es ist soviel angenehmer durch Dich als selbst zu erinnern (vorausgesetzt dass es Dir nicht unangenehm ist), denn dann kann er es, wenn er zu etwas keine Lust hat, offen sagen, während er sonst, wenigstens ist das mein Eindruck, nicht offen spricht, zumindest nicht in Briefen, persönlich ist er offener. Ich bekam schon eine Korrektur des Buches.

    Da Dich Ottla mit der Anfrage kaum erreicht, sie fährt schon Montag mittag hierher zurück: Der Schriftstellerverein (der von der "Feder") meldet mir einen unbefugten Nachdruck des "Berichtes für eine Akademie" in einer "Österreichischen Morgenzeitung" und will eine Ermächtigung, ein Honorar von 30 M (gegen Rückbehaltung von 30%) für mich eintreiben zu dürfen. Soll ich das tun? Die zwanzig Mark wären mir sehr lieb z. B. für den weiteren Kierkegaard. Aber dieser Verein ist eine schmutzige Sache, das Eintreiben auch und die Zeitung ist vielleicht jene jüdische Zeitung. Soll ich also? könntest Du mir übrigens die Nummer (es müßte wohl eine Dezember-Sonntags-Nummer oder Jänner sein) durch Wltschek bestellen?

    Zum Dank dafür einen Satz aus einem Aufruf für das Frankensteiner Sanatorium, da ich niemanden habe, um mit ihm die Freude zu teilen: Ein Herr Artur von Werther, Großindustrieller, hat in Fr. bei der ersten Vorstandsitzung eine große Rede gehalten, hat offenbar den Wunsch gehabt, sie gedruckt zu sehn und sie dem Verein für ein Flugblatt zur Verfügung gestellt. Sie ist besser als sonstiges in dieser Art, frischere unschuldigere Phrasen u. s. w. Den Schlußabsatz habe ich letzthin in Prag dazugemacht. Das scheint ihn seinerseits wieder zu Verbesserungen, Ergänzungen aufgemuntert zu haben und jetzt im Druck lese ich noch dieses: "Lange Jahre im praktischen Leben stehend, klingt meine Lebensauffassung, unbeeinflußt von allen Theorien, in den Sinn aus: Gesundsein, tüchtig und mit Erfolg arbeiten, für sich und seine Familie, einiges Vermögen ehrlich erwerben, führt die Menschheit zur Zufriedenheit auf Erden".


[Randbemerkung: Bitte Max, frage Pfempfert, wodurch sich die Rubinersche Ausgabe des Tolstoitagebuches von der Müller'schen unterscheidet.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Kornfeld: Siehe Anm.3 oben.


Wolff... Korrektur des Buches: Es handelt sich um die Herstellung von Ein Landarzt. Siehe Kafkas Korrespondenz mit dem Verlag, KW 46 f.


Nachdruck des "Berichtes für eine Akademie": Am 25. Dezember 1917. Diese Zeitung hatte außerdem am 3. Dezember 1917 "Schakale und Araber" nachgedruckt.


das Frankensteiner Sanatorium: In diesem Sanatorium bei Rumburg in Nordböhmen (wo sich Kafka im Juli 1915 aufgehalten hatte, F 641f.) wurde im Mai 1917 die Deutsche Krieger- und Volks-Nervenheilanstalt eröffnet, für die er als Beamter der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt - die für die Kriegsbeschädigten-Fürsorge in Böhmen verantwortlich war - viel geleistet hat (siehe KH 472-477). Vgl. 1916 Anm. 8.


dem Verein: Der "Deutsche Verein zur Errichtung und Erhaltung einer Volksnervenheilanstalt in Deutschböhmen". Der von Kafka verfaßte Aufruf, der mit der Bitte um Spenden für diese Anstalt am 16. Dezember 1916 im Prager Tagblatt erschien, ist bei F 764-766 wiederabgedruckt.


Pfempfert: Franz Pfemfert (1879-1954), Herausgeber der von Kafka um diese Zeit regelmäßig gelesenen Wochenschrift Die Aktion.


die Rubinersche Ausgabe: Leo Tolstoi: Tagebuch 1895-1899. Nach dem geistigen Zusammenhang ausgew., hrsg. u. eingel. von Ludwig Rubinen Zürich: M. Rascher 1918.


der Müller'schen: Siehe Anm.19 oben.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at