Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

[Zürau, 13.1.1918]

[An.] Herrn Dr Max Brod k.k. Postkoncipist Prag kk. Postdirktion

[Abs.:] Dr Kafka Zürau P. Flöhau


Sonntag
 

Liebster Max, während Oskar hier war, habe ich Dir nicht geschrieben, teils weil ich so an das Alleinsein gewöhnt bin (nicht an Stille, an Alleinsein), dass ich kaum schreiben konnte, teils weil er Dir doch bald selbst von Zürau erzählen wird. Er ist mir in einigem deutlicher geworden, schade, dass man nicht stark genug ist, der Deutlichkeit immer und ständig ein deutliches Gesicht zu zeigen. Du hast Oskar im Ganzen zweifellos richtiger beurteilt als ich, im Einzelnen scheinst Du Dich zu irren. - Der Roman ist an vielen Stellen erstaunlich, ich habe viel zu viel Äußerliches in Oskars veränderter Arbeitsweise bisher gesehn, das ist es nicht, vielmehr ist Wahrheit da, aber sie schlägt sich an den äußerst gespannten und doch zu engen Grenzen und daraus ergibt sich Müdigkeit, Irrtum, Schwäche, Schreien. Ich wäre sehr froh, wenn ihm Zürau, woran ich allerdings zweifle, ein wenig geholfen hätte, froh um seinet- und meinetwillen. Vielleicht schreibst Du mir darüber.

    Für "tablettes", Aktion und Formulare danke ich; kann ich "tablettes" diesmal F. schenken?

    Unser letzter Abend war nicht gut, ich hätte gern seither eine Nachricht von Dir gehabt. Nicht gut war der Abend, weil ich (natürlicher Weise hilflos, aber das tat mir gar nichts) Dich hilflos gesehen habe und das kann ich fast nicht ertragen, trotzdem ich mir auch diese Hilflosigkeit zu erklären suchte damit, dass, wenn an dem alten Joch zum erstenmal gerüttelt und offenbar es bewegt wird, man den richtigen Schritt nicht gleich finden kann. So war auch Dein Hin- und Hergehn im Zimmer unsicher, als Du Unsicheres sagtest. Und dabei schien mir, in anderer Weise dem entsprechend, Deine Frau so viel mehr Recht als Du zu haben, wie vielleicht den Frauen überhaupt, zur Ablösung anderer Dinge, mehr Recht gegeben ist. Der Vorwurf, dass Du nicht zur Ehe taugst, klingt zumindest in ihrem Mund wahr. Wendest Du ein, dass das eben Dein Leid ist, bleibt ihr die Antwort, dass Du es eben nicht zu ihrem hättest machen dürfen, da es doch nicht ihres war. Bliebe Dir nur die Antwort, dass sie eben Frau und dieses ihre Sache ist. Dadurch aber führt man wieder die Angelegenheit vor ein so hohes Gericht, das nicht entscheiden wird und den Prozeß wieder von neuem beginnen läßt.

    Dieses "nicht-zur-Ehe-taugen" sieht sie und ich mit ihr (nein so sehr will ich mich mit Deiner Frau nicht verbinden, sie sieht es doch wohl anders) darin, dass Du zwar die Ehe brauchst, aber nur zum Teil, während Dein anderes Wesen Dich fortzieht und dadurch auch am ehemännischen Teil zerrt und so gerade durch ihn, der das gar nicht will, den Eheboden aufreißt. Natürlich hast Du in Deiner Gänze geheiratet, aber mit dem jener Teilung entsprechenden Fernblick, den Du allerdings zunächst zum Schielen zwangst, was nicht taugen konnte. So hast Du z. B. Deine Frau geheiratet und mit ihr und über ihr die Literatur, so würdest Du z. B. jetzt eine andere heiraten und mit ihr und über ihr Palästina. Das sind aber Unmöglichkeiten, wenn auch vielleicht notwendige. Ein wirklicher Ehemann dagegen müßte - so könnte es die Theorie fassen - zwar in seiner Frau die Welt heiraten, aber nicht so, dass er jenseits der Frau die zu heiratende Welt sieht, sondern durch die Welt seine Frau. Alles andere ist Qual der Frau, aber vielleicht nicht weniger Rettung oder Rettungsmöglichkeit des Mannes, als in jener Idealehe.

Franz        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Der Roman: "Die Tür ins Unmögliche", 1920 bei Kurt Wolff erschienen.


"tablettes": Siehe 1917 Anm.93. Es handelt sich hier um das Heft Nr. 15 (Dezember 1917), das u.a. einen Artikel von Romain Rolland über Andréas Latzkos Buch Menschen im Krieg (Zürich 1917) und einen Brief Walt Whitmans aus dem amerikanischen Bürgerkrieg enthält.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at