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[Postkarte. Stempel: Flöhau, 10.1.18]

[An.] Herrn Dr Max Brod k.k. Postkoncipist Prag kk. Postdirktion

[Abs.:] Dr Kafka Zürau P. Flöhau


Lieber Max, heute nur als Sekretär Oskars, in glücklicher Verantwortungslosigkeit:

"Du kannst also schon den Tag bestimmen, an welchem Du das Romanende mir und Felix vorlesen möchtest. Nach dem verheißungsvollen Schönen, das mir Franz davon erzählte, bin ich noch begieriger als vorher. Ich komme Sonntag, also ab Montag bin ich jeden Abend bereit. Vielleicht schreibst Du mir eine Karte, nachdem Du es mit Felix verabredet hast. Wie schön und friedlich es hier ist will ich Dir gar nicht erzählen, falls Du nicht die Möglichheit hast, es mir gleichzutun." Mir (das bin nun ich, Franz, der Dir nächstens mehr schreiben wird) ist letzthin bei Vorlesung des Tröltschaufsatzes eingefallen, dass der positive Schluß des Romans eigentlich etwas Einfacheres und Näheres will, als ich zuerst dachte, nämlich die Aufrichtung einer Kirche, einer Heilanstalt, also etwas, was fast zweifellos kommen wird und sich schon im Tempo unseres Zerfallens um uns aufbaut. -

Mit Oskar sind wir sehr schön beisammen.

Franz        
 



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


als Sekretär Oskars: Kafkas früh erblindeter Freund Oskar Baum blieb bis zum 13. Januar in Zürau zu Besuch. Vgl. SL 132.


das Romanende ... Franz: "Das große Wagnis". "Ich las ihm Roman vor. Er entzückt. "Deine freiste ehrlichste Arbeit"" heißt es in Brods Tagebuch am 31. Dezember 1917.


Tröltschaufsatzes: Ernst Troeltsch, "Luther und der Protestantismus", Die neue Rundschau, Oktoberheft 1917.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at