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[An Ottla Kafka: Postkarte]
Liebe Ottla ich habe also heute davon zu sprechen angefangen, natürlich
nicht, ohne wieder eine sentimentale Komödie vorzuspielen,
die mir bei jedem Abschied unentbehrlich ist. Statt einfach (auch dies
wäre lügnerisch, aber wenigstens bis zu einer gewissen Tiefe
anständig) auf Pensionierung zu drängen, fange ich davon zu reden
an, dass ich die Anstalt nicht ausnutzen will u.s.w. Natürlich
ist die Wirkung die, dass man mir die Pensionierung (die man mir vielleicht
auch sonst nicht zugestanden hätte) jetzt gewiß nicht bewilligen
wird. Den Urlaub bekomme ich allerdings bestimmt, wenn ich auch die
Meinung des Direktors, mit dem ich erst Montag reden kann, noch nicht
kenne. Das Gutachten des Professors sieht ja auch (ohne
wesentlich von seinen Worten abzuweichen, aber das Geschriebene hat eben
ein anderes Ansehn) wie eine Reisepaß für die Ewigkeit aus.
- Der Mutter also auch dem Vater habe ich das Urlaubsersuchen mit
Nervosität begründet. Da sie für ihren Teil so grenzenlos
bereit ist mir Urlaub zu geben hat sie keinen Verdacht.
eine sentimentale Komödie: Vgl. Kafkas Brief
an Felice vom 9. September 1917: "ich wollte Pensionierung, man glaubt
in meinem Interesse, sie mir nicht geben zu sollen, die ein wenig sentimentalen
Abschiedskomödien, die ich nach alter Gewohnheit auch jetzt mir nicht
versagen kann, wirken hiebei auch etwas gegen meine Bitte, also bleibe
ich aktiver Beamter und gehe auf Urlaub." (F 753 f., vgl. 656 und
T 532)
die Meinung des Direktors: Gemeint ist der Regierungsrat
Dr. Robert Marschner (vgl. Br 501), dessen organisatorischen Fähigkeiten
und Arbeitskraft Kafka achtete (vgl. WB 148, 279, H 426 ff. und 454 f.)
und der ihm oft "ganz unerwartet liebenswürdig" entgegenkam
(F 103). Kafka sprach also am 6. September zunächst nur mit Eugen
Pfohl.
Das Gutachten des Professors: Pick hatte unter anderem
geschrieben: "Besserung können Sie sicher erwarten, allerdings
wird sie nur in längern Zeitintervallen zu konstatieren sein."
(Br 168)
mit Nervosität begründet: An Felice schrieb
Kafka am 9. September: "während ich sonst die ganze Sache natürlich
nicht als Geheimnis behandle, verschweige ich sie doch vor meinen Eltern.
Zuerst dachte ich gar nicht daran. Als ich aber zum Versuch meiner Mutter
nebenbei sagte, ich fühle mich nervös und werde einen großen
Urlaub verlangen, und sie ohne den geringsten Verdacht die Sade äußerst
glaubhaft fand (sie ist eben für ihren Teil immer grenzenlos gern
bereit, mir auf die geringste Andeutung hin Urlaub in alle Ewigkeit zu
geben), ließ ich es dabei und so bleibt es vorläufig auch gegenüber
dem Vater." (F 754, vgl. Nr. 54)
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at