Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

[An Ottla Kafka: Postkarte]

[Stempel: Prag - 28. VII. 17]
 


Liebste Ottla, ich hätte schon längst schreiben sollen (die Karte aus Budapest hast Du bekommen?) habe viel gesehn, gehört. Auf der Reise ist es mir durchschnittlich erträglich gegangen, aber eine Erholungs- und Verständigungsreise war es natürlich nicht. Vor allem habe ich genug gut geschlafen, wie immer auf Reisen, auch noch paar Tage in Prag, aber jetzt ist es wieder knapp am Unmöglichen. Wäre schon wieder Herbst und Winter (das betrifft Dich ja nicht, Du gehst nach Wien) und wäre es halbwegs ähnlich dem vorigen Jahr! Morgen komme ich nicht, aber anfangs September für 10 Tage, wenn Du es für richtig hältst. Oder soll ich ins Salzkammergut? Je weiter, desto besser, aber es wird schon ein wenig spät sein, ich kann erst am 8. Sept. wegfahren. - Die letzte Kündigung (wenigstens die letzte, von der ich gehört habe) war wirklich bewunderungswürdig. Wie kannst Du bestehn?

Grüße für Dich und Irma

Franz




aus Budapest: Kafka hatte sich Anfang Juli 1917 zum zweitenmal mit Felice verlobt und reiste mit ihr über Budapest nach Arad zu ihrer Schwester; er kehrte allein über Wien nach Prag zurück. (Vgl. F 770)


Du gehst nach Wien: Wahrscheinlich hatte Ottla zu diesem Zeitpunkt den Plan, in der Gartenschule in Klosterneuburg sich die fehlenden landwirtschaftlichen Einzelkenntnisse zu erwerben. (Vgl. Nr. 50, 57, 60 und die Zeittafel am Ende des Bandes)


Die letzte Kündigung: Über ihre Stellung zum Vater in dieser Zeit schrieb Ottla am 14. November 1917 an David: "Vater schimpft schon niemals mehr auf mich, vielleicht auch, dass es mir nur so scheint. Das letztere allerdings wäre mir viel lieber, wenn er nicht schimpft, dass vergißt er sicher, dass ich einmal im Geschäft war und vergißt mich überhaupt. Ich möchte, dass Vater mich mehr beachtet, einerlei in welcher Weise. Mutter schreibt uns schön, sie ist gut und lieb und verdient viel Liebe." (Vgl. die Anmerkungen zu Nr. 38 und zu Nr. 54) Am 8. August hatte Ottla berichtet: "Vater . . . warf mir . . . meinen Abgang aus dem Geschäft vor, aber gleich in dem Augenblick, wo ich zu ihm kam. Abends sprach er dann von allen seinen Kindern, hauptsächlich von meinem Bruder und mir, sehr unzufrieden."


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at