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[An Ottla Kafka: Postkarte]
Liebste Ottla, ich hätte schon längst schreiben sollen (die Karte
aus Budapest hast Du bekommen?) habe viel gesehn, gehört.
Auf der Reise ist es mir durchschnittlich erträglich gegangen, aber
eine Erholungs- und Verständigungsreise war es natürlich nicht.
Vor allem habe ich genug gut geschlafen, wie immer auf Reisen, auch noch
paar Tage in Prag, aber jetzt ist es wieder knapp am Unmöglichen.
Wäre schon wieder Herbst und Winter (das betrifft Dich ja nicht, Du gehst nach Wien) und wäre es halbwegs ähnlich
dem vorigen Jahr! Morgen komme ich nicht, aber anfangs September für
10 Tage, wenn Du es für richtig hältst. Oder soll ich ins Salzkammergut?
Je weiter, desto besser, aber es wird schon ein wenig spät sein, ich
kann erst am 8. Sept. wegfahren. - Die letzte Kündigung
(wenigstens die letzte, von der ich gehört habe) war wirklich bewunderungswürdig.
Wie kannst Du bestehn?
Grüße für Dich und Irma
Franz
aus Budapest: Kafka hatte sich Anfang Juli 1917
zum zweitenmal mit Felice verlobt und reiste mit ihr über Budapest
nach Arad zu ihrer Schwester; er kehrte allein über Wien nach Prag
zurück. (Vgl. F 770)
Du gehst nach Wien: Wahrscheinlich hatte Ottla zu
diesem Zeitpunkt den Plan, in der Gartenschule in Klosterneuburg sich die
fehlenden landwirtschaftlichen Einzelkenntnisse zu erwerben. (Vgl. Nr.
50, 57, 60 und die Zeittafel am Ende des Bandes)
Die letzte Kündigung: Über ihre Stellung
zum Vater in dieser Zeit schrieb Ottla am 14. November 1917 an David: "Vater
schimpft schon niemals mehr auf mich, vielleicht auch, dass es mir
nur so scheint. Das letztere allerdings wäre mir viel lieber, wenn
er nicht schimpft, dass vergißt er sicher, dass ich einmal
im Geschäft war und vergißt mich überhaupt. Ich möchte,
dass Vater mich mehr beachtet, einerlei in welcher Weise. Mutter schreibt
uns schön, sie ist gut und lieb und verdient viel Liebe." (Vgl.
die Anmerkungen zu Nr. 38 und zu Nr. 54) Am 8. August hatte Ottla berichtet:
"Vater . . . warf mir . . . meinen Abgang aus dem Geschäft vor,
aber gleich in dem Augenblick, wo ich zu ihm kam. Abends sprach er dann
von allen seinen Kindern, hauptsächlich von meinem Bruder und mir,
sehr unzufrieden."
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at