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Franz Kafka an Kurt Wolff


Prag, 4. September 1917
 

Verehrter Herr Wolff!

Einen schöneren Vorschlag für den Landarzt konnte ich mir nicht wünschen. Aus Eigenem hätte ich gewiß nicht gewagt nach jenen Lettern zu greifen, nicht mir, nicht Ihnen und nicht der Sache gegenüber, aber da Sie selbst es mir anbieten, nehme ich es mit Freude an. Dann wird wohl auch das schöne Format der Betrachtung angewendet?

Hinsichtlich der Strafkolonie besteht vielleicht ein Mißverständnis. Niemals habe ich aus ganz freiem Herzen die Veröffentlichung dieser Geschichte verlangt. Zwei oder drei Seiten kurz vor ihrem Ende sind Machwerk, ihr Vorhandensein deutet auf einen tieferen Mangel, es ist da irgendwo ein Wurm, der selbst das Volle der Geschichte hohl macht. Ihr Angebot, diese Geschichte in gleicher Weise wie den Landarzt erscheinen zu lassen ist natürlich sehr verlockend und kitzelt so, dass es mich fast wehrlos macht - trotzdem bitte ich die Geschichte, wenigstens vorläufig nicht herauszugeben. Stünden Sie auf meinem Standpunkt und sähe Sie die Geschichte so an, wie mich, Sie würden in meiner Bitte keine besondere Standhaftigkeit erkennen. Im übrigen: Halten meine Kräfte halbwegs aus, werden Sie bessere Arbeiten von mir bekommen, als es die Strafkolonie ist.

Meine Adresse ist von nächster Woche ab:

Zürau, Post Flöhau in Böhmen

Die schon seit Jahren mit Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit angelockte Krankheit ist nämlich plötzlich ausgebrochen. Es ist fast eine Erleichterung. Ich fahre für längere Zeit aufs Land, vielmehr ich muß fahren. Mit herzlichen Grüßen Ihr immer ergebener


F Kafka




Krankheit: Im September 1917 wurde bei Kafka die Diagnose auf Lungentuberkulose gestellt. Der Brief ist am Tage der Diagnose geschrieben.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at