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Franz Kafka an Kurt Wolff


Prag, 27.Juli 1917
 

Verehrter Herr Kurt Wolff!

dass Sie über die Manuskripte so freundlich urteilen, gibt mir einige Sicherheit. Falls Sie eine Ausgabe dieser kleinen Prosa (jedenfalls kämen noch zumindest zwei kleine Stücke hinzu: das in Ihrem Almanach enthaltene "Vor dem Gesetz" und der beiliegende "Traum") jetzt für richtig halten, bin ich sehr damit einverstanden, vertraue mich hinsichtlich der Art der Ausgabe Ihnen völlig an, auch liegt mir an einem Ertrag augenblicklich nichts. Dieses Letztere wird sich allerdings nach dem Krieg ganz und gar ändern. Ich werde meinen Posten aufgeben (dieses Aufgeben des Postens ist überhaupt die stärkste Hoffnung, die ich habe), werde heiraten und aus Prag wegziehn, vielleicht nach Berlin. Ich werde zwar, wie ich heute noch glauben darf, auch dann nicht ausschließlich auf den Ertrag meiner literarischen Arbeit angewiesen sein, trotzdem aber habe ich oder der tief in mir sitzende Beamte, was dasselbe ist, vor jener Zeit eine bedrückende Angst; ich hoffe nur, dass Sie, verehrter Herr Wolff, mich dann, vorausgesetzt natürlich, dass ich es halbwegs verdiene, nicht ganz verlassen. Ein Wort von Ihnen, schon jetzt darüber gesagt, würde mir, über alle Unsicherheit der Gegenwart und Zukunft hinweg, doch viel bedeuten. Mit herzlichen Grüßen Ihr ergebener


Kafka




Almanach: Siehe Anmerkung zum Brief Kafkas an den KWV vom 20. X. 1915.


"Vor dem Gesetz": Nach dem Abdruck in dem Almanach "Vom jüngsten Tag", Leipzig: KWV 1916, aufgenommen in die Sammlung "Ein Landarzt".


"Traum": "Ein Traum", entstanden 1914/15, Erstdruck in "Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917", Berlin: Verlag Neue Jugend 1916. Später in "Ein Landarzt".


meinen Posten: Kafka war seit dem 30. VII. 1908 bei der privaten Arbeiter-Unfall-Versicherung angestellt.


heiraten: Kafka beabsichtigte nach der 2.Verlobung im Juli 1917 Felice Bauer zu heiraten. Im Dezember 1917 1öste er auch diese zweite Verlobung.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at