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[Das dritte Oktavheft: 8. Dezember 1917; Freitag]


8. Dezember. Bett, Verstopfung, Rückenschmerz, gereizter Abend, Katze im Zimmer, Zerworfenheit.


Im Kampf zwischen dir und der Welt sekundiere der Welt.

Man darf niemanden betrügen, auch nicht die Welt um ihren Sieg.

Es gibt nichts anderes als eine geistige Welt; was wir sinnliche Welt nennen, ist das Böse in der geistigen, und was wir böse nennen, ist nur eine Notwendigkeit eines Augenblicks unserer ewigen Entwicklung.

Mit stärkstem Licht kann man die Welt auflösen. Vor schwachen Augen wird sie fest, vor noch schwächeren bekommt sie Fäuste, vor noch schwächeren wird sie schamhaft und zerschmettert den, der sie anzuschauen wagt.

Alles ist Betrug: das Mindestmaß der Täuschungen suchen, im üblichen bleiben, das Höchstmaß suchen. Im ersten Fall betrügt man das Gute, indem man sich dessen Erwerbung zu leicht machen will, das Böse, indem man ihm allzu ungünstige Kampfbedingungen setzt. Im zweiten Fall betrügt man das Gute, indem man also nicht einmal im Irdischen nach ihm strebt. Im dritten Fall betrügt man das Gute, indem man sich möglichst weit von ihm entfernt, das Böse, indem man hofft, durch seine Höchststeigerung es machtlos zu machen. Vorzuziehen wäre also hiernach der zweite Fall, denn das Gute betrügt man immer, das Böse in diesem Fall, wenigstens dem Anschein nach, nicht.

Es gibt Fragen, über die wir nicht hinwegkommen könnten, wenn wir nicht von Natur aus von ihnen befreit wären.

Die Sprache kann für alles außerhalb der sinnlichen Welt nur andeutungsweise, aber niemals auch nur annähernd vergleichsweise gebraucht werden, da sie, entsprechend der sinnlichen Welt, nur vom Besitz und seinen Beziehungen handelt.

Man lügt möglichst wenig, nur wenn man möglichst wenig lügt, nicht wenn man möglichst wenig Gelegenheit dazu hat.


Wenn ich dem Kind sage: »Wische deinen Mund ab, dann bekommst du den Kuchen«, so heißt das nicht, daß durch das Mundabwischen der Kuchen verdient wird, denn Mundabwischen und Wert des Kuchens sind unvergleichlich, auch wird dadurch nicht das Mundabwischen zur Voraussetzung des Kuchenessens gemacht, denn abgesehen von der Geringfügigkeit solcher Bedingung bekäme das Kind den Kuchen auf jeden Fall da er ein notwendiger Bestandteil seines Mittagessens ist, - die Bemerkung bedeutet also keine Erschwerung, sondern eine Erleichterung des Übergangs, das Mundabwischen ist ein winziger Vorteil, der dem großen des Kuchenessens vorhergeht.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at