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An Oskar Baum
Lieber Oskar,
an Direktor Marschner kann ich allerdings nicht schreiben, ein Vierteljahr
und länger hat er von mir keinen Laut gehört, er kommt mir in
meiner Sache wie eine Art Schmerzensreich vor, der nur
zahlt und duldet. Aber es ist glücklicherweise gar nicht nötig
ihm zu schreiben; der Vorstand des Bureaus der "Staatlichen Landeszentrale
für Fürsorge für heimkehrende Krieger", Poric 7, ist
Sekretär Dr. F. (er der erste, ich der zweite und letzte und abbröckelnde
Jude der Anstalt), ein ausgezeichneter Mann, mit Liebe bei der Sache, jeder
halbwegs erfüllbaren Bitte zugänglich. ich habe ihm eben den
Sachverhalt geschrieben und das genügt wahrscheinlich, besser aber
wäre es noch, wenn Du einmal zwischen neun und ein Uhr selbst zu ihm
ins Bureau gingest, ich habe Dich ihm für jeden Fall angekündigt.
Ich rate das besonders deshalb, weil mir (ich kenne allerdings die Einzelheiten
der Blindenfürsorge nicht) 8000 Kc ein in der allgemeinen gewöhnlichen
Kriegsbeschädigten-Fürsorge unerhört hoher Betrag scheint
und ein mündliches erklärendes Wort doch nützlich wäre.
Damit Du jedenfalls ein Bild des Dr. F. im Umriß hast: er ist dreiviertel
Tscheche, ganzer Sozialdemokrat, seine Muttersprache ist Deutsch (Du sprichst
natürlich ungescheut deutsch mit ihm, so wie auch ich immer), hat
eine schwere Jugend gehabt, war unter anderem Sekretär des alten Klaar
von der "Vossischen", für Literatur hat er ein ursprüngliches
Nichtinteresse hat jetzt im vierzigsten bis fünfzigsten Jahr ein tschechisches
Schreibmaschinenfräulein geheiratet, sein Schwiegervater ist ein armer
Tischler - also alles in allem ein Mann, mit dem sich sehr gut und sehr
offen sprechen läßt. Sagst Du ein lobendes Wort nebenbei darüber,
wie er sich seiner Sache hingibt, kannst Du ihn glücklich machen und
hast keine Unwahrheit gesagt, übrigens wird er Dich vielleicht, eine
kleine Schwäche, selbst halb gegen seinen Willen dazu herausfordern.
Bleib aber nicht lange bei ihm, er hat sehr viel zu tun, vergißt
es im Gespräch und bereut dann, es vergessen zu haben. Besonders die
Sorge P's um seine Schwester wird ihn rühren. Was das bedeutet, weiß
er aus eigener Erfahrung.
Der Referent für Kriegsblindenfürsorge, zu dem er Dich vielleicht
führen wird (ohne aber die einmal übernommene Sache aus seiner
Hand zu geben), ist Konzipist, Dr. (er ist nicht Dr., aber nenn ihn so)
T. Der ist allerdings sehr anders, war im Krieg, äußerst regelmäßiges
Gesicht, bleich, mager, mittelgroß, einige tiefe Falten der Korrektheit
im Gesicht, spricht sehr langsam, schnarrend, ohne dass das Gesagte
meistens die großen Pausen, Betonungen und Lippenanspannungen rechtfertigen
würde - und ist also im ganzen eher abschreckend, aber nach meinen
Erfahrungen hat das nicht viel zu bedeuten, er ist ein ganz guter und angenehmer
Mensch, seinem Tempo muß man sich allerdings fügen.
Vielleicht mischt sich dann, wenn ich erwähnt werde, auch sein Zimmernachbar
Herr Vizesekretär K. (ich schreibe es der Deutlichkeit halber noch
einmal: K., es ist ein wirklicher, nicht ein von Dir erfundener Name) ins
Gespräch, er ist mein nächster Kollege, von hier aus liebe ich
ihn geradezu (Dr. F. liebt ihn nicht) und so wirst Du allmählich von
drei Freunden umgeben sein, die hoffentlich alles für Herrn P. zum
Guten führen werden.
dass die Sommerwohnung sich nicht ermöglichen läßt,
hat mir sehr leid getan, trotzdem ich auch kaum meine Sommerwohnung hier
haben werde. - Kierkegaard ist ein Stern, aber über einer mir fast
unzugänglichen Gegend, es freut mich, dass Du ihn jetzt lesen
wirst, ich kenne nur "Furcht und Zittern". -Willst Du nicht
Krastik mir oder uns im Manuskript schicken? Du hast
hier drei treue Leser, ed en in seiner Art. Herzliche Grüße
Dir und Deiner lieben Frau.
meiner Sache: Bezieht sich auf Kafkas wiederholt
verlängerten Krankenurlaub, dem später die Pensionierung folgte.
- Im Folgenden setzt sich Oskar Baum für den Kriegsblinden P. ein,
Kafka gibt Ratschläge.
Krastik: Hauptfigur des Romans "Die Tür
ins Unmögliche". München, 1919.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at