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An Felix Weltsch
Lieber Felix, Du bist also nicht böse, das ist gut, aber dass
um die "Lügen" der Schein der tiefern Wahrheit zu sehn
ist, kann den Lügner nicht trösten. Übrigens ist in der
Sache selbst noch einiges Ergänzende zu sagen, aber Dir gegenüber
ist es nicht nötig. (Nebenbei: ich bin heute nach einem nicht unschönen
Tag so stumpf und so sehr gegen mich eingenommen, dass ich das Schreiben
besser lassen sollte.)
Erstaunlich ist der Umfang, welchen Dein Unterricht annimmt, nicht erstaunlich,
was die Schüler betrifft, das habe ich immer vorhergesagt, sie drängten
mir sogar zu langsam, aber erstaunlich von Deiner Seite. Was für Selbstbeherrschung,
Launenlosigkeit, Geistesgegenwart, Sicherheit, wahre Arbeitergesinnung
oder um das große Wort zu wagen: Männlichkeit gehört dazu,
sich in solche Dinge einzulassen, bei ihnen zu bleiben und sie bei tatsächlich
stärkstem Gegenwind noch zu Deinem geistigen Nutzen zu wenden, wie
Du es tatsächlich tust, wenn Du es auch verreden willst. Das wäre
also gesagt und selbst mir wird in dieser Sphäre wohler.
Jetzt solltest Du nur noch imstande sein, den Lärm der Kinder als
Jubel über diese Unterrichtserfolge hinzunehmen. Übrigens muß
er doch mit zunehmendem Herbst verschwinden, ebenso wie man hier, wo es
doch nichts zu bejubeln gibt, allmählich die Gänse einsperren,
die Fahrten auf die Felder einstellen, die Schmiede nur in der Werkstatt
arbeiten lassen und die Kinder zu Hause halten wird, nur der helle singende
Dialekt und das Bellen der Hunde wird nicht aufhören, während
es vor Deinem Hause schon längst still sein wird und die Schülerinnen
ungestört Dich anstarren werden.
Dir geht es also gesundheitlich besser (merkwürdig: Deine geheime
Vorliebe für Furunkeln, die noch übertroffen wird durch die für
Jod), mir nicht schlechter, wobei ich die Gewichtzunahme, die jetzt schon
dreieinhalb Kilogramm beträgt, als neutral ansehe. Hinsichtlich der
Ursachen der Krankheit bin ich nicht eigensinnig, bleibe aber, da ich doch
gewissermaßen im Besitz der Originaldokumente über den "Fall"
bin, bei meiner Meinung und ich höre, wie sogar die zunächst
beteiligte Lunge förmlich zustimmend rasselt.
Zur Gesundung ist, da hast Du natürlich recht, vor allem der Gesundungswille
nötig. Den habe ich, allerdings, soweit sich dies ohne Ziererei sagen
läßt, auch den Gegenwillen. Es ist eine besondere, wenn man
will, eine verliehene Krankheit, ganz anders als alle, mit denen ich bisher
zu tun hatte. So wie ein glücklicher Liebhaber etwa sagt: "Alles
Frühere waren nur Täuschungen, jetzt erst liebe ich."
Dank für die "bis"-Erklärung. Brauchbar ist für
mich nur das Beispiel: "Borge mir, bis wir wieder zusammenkommen"
vorausgesetzt, dass es bedeutet: "Du sollst mir erst dann borgen,
bis wir zusammenkommen" und nicht etwa: "Du sollst mir für
so lange Zeit borgen, bis wir . . ." das ist aus der bloßen
Anführung nicht ersichtlich.
Wegen der Bücher hast Du mich mißverstanden. Es kommt mir hauptsächlich
darauf an, Originaltschechisches oder Originalfranzösisches zu lesen,
nicht Übersetzungen. Die Bibliothek kenne ich übrigens, sie ist
mir (zumindest der Rakowitzá-Band) zu schlecht gedruckt,
das Licht ist hier durchaus nicht besser als in der Stadt, bei meinen Nordfenstern.
Französisch gibt es natürlich Zahlloses für mich, sollte
es Tschechisches nichts anderes geben, würde ich etwas aus der ähnlichen,
aber wissenschaftlichen Laichter-Bibliothek nehmen.
Ich lese im Ganzen nicht viel, das Leben auf dem Dorf ist mir so entsprechend.
Hat man erst einmal das Gefühl mit allen seinen Unannehmlichkeiten
überwunden, in einem nach neueren Prinzipien eingerichteten Tiergarten
zu wohnen, in welchem den Tieren volle Freiheit gegeben ist, dann gibt
es kein behaglicheres und vor allem kein freieres Leben als auf dem Dorf,
frei im geistigen Sinn, möglichst wenig bedrückt von Um- und
Vorwelt. Nicht verwechseln darf man dieses Leben mit dem in einer Kleinstadt,
das wahrscheinlich fürchterlich ist. Ich wollte immer hier leben,
nächstnächste Woche fahre ich wahrscheinlich nach Prag, es wird
mir schwer.
Herzliche Grüße Dir und der Frau. Es ist schon zwölf Uhr,
ich treibe das so seit drei, vier Tagen, gut ist es nicht, weder für
mein Aussehn, noch für den Petroleumvorrat, der sehr klein ist, noch
für irgend etwas sonst, aber äußerst verlockend ist es,
nur das, nichts sonst.
Franz
Rakowitzá: Helena Racowitzová, Láska a smrt Ferdinanda
Lassallea. Prag, 1912.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at