Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
[An Elsa Brod]
[Zürau]
Liebe Frau Elsa, es ist ein Augenblicksbrief, im zweiten
Augenblick wäre er nicht geschrieben, im dritten nicht weggeschickt
worden. Deshalb ist er auch im wesentlichen irrig und entspricht nicht
der Kenntnis menschlicher Dinge, die Sie im Grunde reichlich haben.
Wenn wir, liebe Frau Elsa, über Max sprechen
wollen, müssen wir doch zuerst auf gleicher Ebene sein, müssen
also nur als Maxens Freunde miteinander sprechen, nur als Freunde und alles
andere außerhalb lassen, wonach zu greifen ich nicht wage, selbst
wenn Sie, im Irrtum des Augenblicks, die Hand mir dorthin führen wollen.
Als Freunde aber sind wir weder seine Ärzte, noch seine Lehrer, noch
seine Richter, sondern nur Menschen neben ihm, die ihn lieb haben. Als
solche aber, glaube ich, dürfen wir ihn, wenn es um sein Ganzes geht,
nicht beeinflussen durch Ratschläge, Zuflüsterungen, Andeutungen,
sondern nur durch das, was sich ohne weiteres ergibt, also durch unser
Dasein, durch Liebe, Güte, Zurückhaltung, Freundschaft. Das haben
ja auch Sie getan, ich selbst sah es oft mit Rührung, aber natürlich
haben Sie auch mehr als das d. h. also weniger getan, wie eben alle Menschen,
denn das was ich oben sagte, ist nur als Ziel gemeint. Auch ich habe, sogar
in letzter Zeit (ich glaube, einmal auch in Ihrer Gegenwart) einen Rat
zu geben versucht, der vielleicht nicht in Ihrem Sinn, aber durchaus nicht
gegen Ihren Sinn war, der aber jedenfalls gegen meinen eigenen Willen war,
abgetrotzt durch Maxens Anblick, unter dem Sie allerdings in unaufhörlicher
Gegenwart unvergleichlich mehr, bis an die Grenzen der Kraft leiden müssen;
das verstehe ich gut, hier ist mein Verständnis ohne Vorbehalt. Wahr
bleibt aber doch nur, dass man zwar Max zurückhalten soll, wenn
man sieht, dass er in Gefahr ist, über einen Stein zu stolpern,
dass man ihn aber, vorausgesetzt überhaupt dass man das
ganz Unwahrscheinliche zu tun imstande wäre, nicht durch einen Stoß
hindern darf, in das zu rennen, was man für sein Leid hält. Ihm
hier Ratschläge geben zu wollen, wäre etwa gleichwertig dem,
wenn ich ihm Vorwürfe deshalb machen wollte, dass er mir als
Freund nicht längst geraten hat Tuberkulose zu bekommen.
Aus dieser Überzeugung erkenne ich die Irrtümer
Ihres Briefes, die ich, ich wiederhole es, nicht für Ihre Irrtümer
halte, weshalb ich auch Ihren Brief nicht behalten darf und hier zurückschicke.
Diese Irrtümer sind etwa: Sie klagen aus Liebe und haben die wahre
Gelegenheit der Liebe. - Sie suchen einen Fürsprecher und haben gerade
im unbeirrten Max den stärksten. Sie sehen (oder lassen wenigstens
Ihren Blick so wenden) eine vielleicht entfernte Nebensache als Hauptsache
an, verwirren sich und versäumen dadurch, ruhig das zu sein, was Sie
sind.
Im Tone Ihres Briefes könnten Sie jetzt denken:
"Es ist sehr leicht Prinzipien aufzusagen, wenn der andere in Not
ist" und Sie hätten Recht; dieses Gefühl beschämt
mich, so oft ich an Sie denke. Aber soll man aus Scham schweigen oder gar
lügen? Besonders hier, wo wir doch in der Sorge um Max einig sind.
Franz K
Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.
ein Augenblicksbrief: Siehe hierzu Brods Brief vom 17. Dezember.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |