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[An Elsa Brod]

[Zürau]

19 XII 17
 

Liebe Frau Elsa, es ist ein Augenblicksbrief, im zweiten Augenblick wäre er nicht geschrieben, im dritten nicht weggeschickt worden. Deshalb ist er auch im wesentlichen irrig und entspricht nicht der Kenntnis menschlicher Dinge, die Sie im Grunde reichlich haben.

    Wenn wir, liebe Frau Elsa, über Max sprechen wollen, müssen wir doch zuerst auf gleicher Ebene sein, müssen also nur als Maxens Freunde miteinander sprechen, nur als Freunde und alles andere außerhalb lassen, wonach zu greifen ich nicht wage, selbst wenn Sie, im Irrtum des Augenblicks, die Hand mir dorthin führen wollen. Als Freunde aber sind wir weder seine Ärzte, noch seine Lehrer, noch seine Richter, sondern nur Menschen neben ihm, die ihn lieb haben. Als solche aber, glaube ich, dürfen wir ihn, wenn es um sein Ganzes geht, nicht beeinflussen durch Ratschläge, Zuflüsterungen, Andeutungen, sondern nur durch das, was sich ohne weiteres ergibt, also durch unser Dasein, durch Liebe, Güte, Zurückhaltung, Freundschaft. Das haben ja auch Sie getan, ich selbst sah es oft mit Rührung, aber natürlich haben Sie auch mehr als das d. h. also weniger getan, wie eben alle Menschen, denn das was ich oben sagte, ist nur als Ziel gemeint. Auch ich habe, sogar in letzter Zeit (ich glaube, einmal auch in Ihrer Gegenwart) einen Rat zu geben versucht, der vielleicht nicht in Ihrem Sinn, aber durchaus nicht gegen Ihren Sinn war, der aber jedenfalls gegen meinen eigenen Willen war, abgetrotzt durch Maxens Anblick, unter dem Sie allerdings in unaufhörlicher Gegenwart unvergleichlich mehr, bis an die Grenzen der Kraft leiden müssen; das verstehe ich gut, hier ist mein Verständnis ohne Vorbehalt. Wahr bleibt aber doch nur, dass man zwar Max zurückhalten soll, wenn man sieht, dass er in Gefahr ist, über einen Stein zu stolpern, dass man ihn aber, vorausgesetzt überhaupt dass man das ganz Unwahrscheinliche zu tun imstande wäre, nicht durch einen Stoß hindern darf, in das zu rennen, was man für sein Leid hält. Ihm hier Ratschläge geben zu wollen, wäre etwa gleichwertig dem, wenn ich ihm Vorwürfe deshalb machen wollte, dass er mir als Freund nicht längst geraten hat Tuberkulose zu bekommen.

    Aus dieser Überzeugung erkenne ich die Irrtümer Ihres Briefes, die ich, ich wiederhole es, nicht für Ihre Irrtümer halte, weshalb ich auch Ihren Brief nicht behalten darf und hier zurückschicke. Diese Irrtümer sind etwa: Sie klagen aus Liebe und haben die wahre Gelegenheit der Liebe. - Sie suchen einen Fürsprecher und haben gerade im unbeirrten Max den stärksten. Sie sehen (oder lassen wenigstens Ihren Blick so wenden) eine vielleicht entfernte Nebensache als Hauptsache an, verwirren sich und versäumen dadurch, ruhig das zu sein, was Sie sind.

    Im Tone Ihres Briefes könnten Sie jetzt denken: "Es ist sehr leicht Prinzipien aufzusagen, wenn der andere in Not ist" und Sie hätten Recht; dieses Gefühl beschämt mich, so oft ich an Sie denke. Aber soll man aus Scham schweigen oder gar lügen? Besonders hier, wo wir doch in der Sorge um Max einig sind.


Franz K        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


ein Augenblicksbrief: Siehe hierzu Brods Brief vom 17. Dezember.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at