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Max Brod an Franz Kafka

[Prag]

17.12. [1917] Montag
 

Lieber Franz -

Dank für Brief vom 10. Das Wort "Menschenwürde" darin ist ein gutes Wort und es ist davon Kraft ausgegangen, die ich gerade in der vorigen Woche besonders gebraucht habe. Es war nämlich eine Woche der Entscheidungen, falls es so etwas überhaupt gibt, was ich heute schon wieder bezweifle. -

    Heute vor 8 Tagen, Montag sagte mir St. (du kennst die Geheimnisse meines Tagebuches), dass sie sich wieder verloben soll. Mit einem Trottel, Baron. Soll sich taufen lassen. Entscheidung in 8 Tagen. Sie will nur einen, den sie gar nicht lieben kann, den sie verachtet. - Diese wunderbare Reinlichkeit ihrer Entschlüsse. An demselben Abend sagte sie (ich riet gegen diese Verbindung), sie werde es nicht tun. Und ihr Wort gilt. Trotzdem kam ich schluchzend nach Hause. Chanukalichter vorbereitet. Unmöglichkeit. Beginn der Aussprache mit meiner Frau, die drei Tage und zwei mehr oder minder schlaflose Nächte dauerte. Sagte alles, sogar Namen von St. Las wenn auch nicht dieses letzte, so doch frühere Tagebücher vor. Zum Beweis, dass niemals Einheit in dieser Ehe und vor ihr war. - Hatte die Absicht, von E. wegzugehen, und doch wieder nicht. - Schließlich übernahm meine Frau die Entscheidung. Natürlich für mich, trotz allem. - Positive Gegenkräfte wachsen aus jedem Entschluß, ich fühle, dass Unentschiedenheit ärger war. Und der andere Entschluß wäre jedenfalls nicht leichter gewesen. - Wie es sein wird, weiß ich nicht. - Wir wollen es versuchen. Meine Frau tut Übermenschliches. Ich bin matt. - Am Samstag war ich mit St. zum letztenmal beisammen. Es grauste uns beiden. Und vor allem: es wird doch nicht das leutemal gewesen sein. Aber trotzdem bleibt es ein Einschnitt, der auch durch Nachfolgendes nicht mehr zu überkleistern sein wird. Es gab sich doch deutlich als Anfang einer beiderseits eingesehenen Unmöglichkeit.

    Von den Malheuren das Kleinste: der Roman stockt in der letzten Szene. Gefühllos will ich nicht weiterschreiben und so wie bisher kann ich es nicht. - Was Schlaf, körperliche Gesundheit anlangt, fühle ich mich wohler als vorher.

    Es ist trotz allem unsicher, wie es weitergehen wird.

    Tausenderlei wäre noch davon zu sagen. - Ich wollte dir nur die Tatsachen melden, damit dich längeres Schweigen nicht beunruhigt.

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    "Anbruch". Adresse doch nicht von mir! Vielleicht von Fuchs.

    Premiere in Dresden erst im März. - Wann kommst du nach Prag? - Hat dir Werfel geantwortet? Ich sandte ihm meine "Esther" mit, habe keine Nachricht von ihm. - Hast du "Esther" erhalten? Ich sandte dir das Buch.


Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Woche der Entscheidungen: Wie aus diesem Brief hervorgeht, hat Brod seine Frau über seine Beziehung zu "St." (Steffi), die ihm bei der Figur der Pflegerin Ruth im Roman Das große Wagnis als Modell gedient hat, aufgeklärt.


stockt in der letzten Szene: Am 25. Dezember 1917 heißt es in Brods Tagebuch: "Roman "Wagnis" vollendet".


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at