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Max Brod an Franz Kafka
[Prag]
Lieber Franz -
Dein Mäusebrief vom 24. hat mich etwas verdüstert. Tauscht man
für die Nervosität der Stadt nichts anderes ein als die des Landes?
- Es gibt ausgezeichnete Fallen, glaube ich, sehr grausame Instrumente
mit Kopfzerschmettern und Ersäufen. Vielleicht aber nicht ärger
als die Katze, ebenso entschuldbar durch Notwendigkeit und wirksamer, da
niemals satt.
Du wolltest mir noch über Blüher mehr
schreiben. - Ich habe in Wien in einem langen Praterspaziergang mit Dr.
Bernfeld (der äußerlich dir ähnlich ist und gleichfalls
einen Lungenspitzenkatarrh hinter sich hat) Persönliches über
Blüher und Wyneken erfahren.
Einmal hielt Wyneken eine Rede und jemand im Saale
kicherte. Da fuhr W in der Rede fort: "Ich schleudere dieses Lachen
in die Weltgeschichte." - Bernfeld sagte über ihn: Man ist in
ihn verliebt oder versteht ihn nicht. Bernfeld ist verliebt.
Viel Interessantes über die Jugendbewegung
in Galizien erfahren. Zwei Parteien. Die einen "lernen" den
Zionismus wie den Talmud, Stubenhocker. Die andern "Schomrim"
haben Pfadfinderallüren. Beide Parteien streng nur-hebräisch.
Sehen auf die westlichen "Lautenspieler" u. s. f. als auf "gojische
Narrischkaten" herab. In Wien hat sich aber alles, in denselben Löchern
wohnend, zu einer neuen großen Jugendgruppe verschmolzen, deren Entwicklung
nicht vorauszusehen ist.
Und ich soll diese Jugend führen können?!
- Ich im Herzen durch Liebe Zerrissener, Verlogener, in seinen Lügen
Sich-kaummehr-Auskennender? - Ich verstehe nicht, wie du sagen kannst,
dass ich das Vertrauen der Jugend belohne. Ich fühle mich so
krank, schuldbewußt, ohnmächtig vor ihr. Ich möchte von
ihr geführt werden. Ich warte auf Erlösung. - Der Roman, an dem
ich jetzt täglich sehr eifrig schreibe, ist meine einzige Rettung.
Doch zugleich zeigt er mir mit jedem Strich, wo ich mich hinsehne und wo
ganz anders ich bin. - Er ist die Bewegung meines Unglücks, das durch
ihn wie ein Kreisel vorläufig getrieben und verhindert wird, mit ganzer
Wucht zur Seite auf mich zu stürzen.
Ein lebendiger Brief Janáčeks,
den ich beilege, soll den schlechten Eindruck der vorigen Zeilen mildern.
Es genügt, dass es starke Menschen gibt. Man muß ja nicht
gerade selbst zu ihnen zählen.
Wenn mein Roman fertig ist, fahre ich zu dir hinaus.
Vorher versage ich mir jede Freude.
Dein Max
Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.
Wyneken: Gustav Wyneken (1875-1964), Pädagoge, der in dem von ihm mitbegründeten Landerziehungsheim "Freie Schulgemeinde" in Wikkersdorf seine Idee der "Jugendkultur" zu verwirklichen suchte.
Brief Janáčeks: Da dieser Brief in dem Band Korespondence Leoše Janáčka s Maxem Brodem, hrsg. Jan Racek und Artuš Rektorys, Prag 1953, nicht enthalten ist, wird der Text hier mitgeteilt (in Übersetzung: Janáček schrieb auf tschechisch, Brod auf deutsch):
Lieber Freund!
Herr Hertzka schreibt, dass Sie schon "beglichen" sind. Das freut mich. Ihre Übersetzung wurde von Dr. Štěpánek in der Hudební revue sehr gepriesen.
Herrn Hertzka will ich also einige meiner "literarischen" Werke schikken. Vielleicht wird diese Blütenlese auf Verständnis stoßen! Bald werden Sie Ihr Jerusalem feiern! Wann werden wir Tschechen volle Freiheit und Unabhängigkeit genießen?
Jetzt bin ich ganz in das XV Jahrhundert vertieft, das Werk geht seinem Ende zu! Und freilich: Ende gut alles gut [auf deutsch geschrieben]!
J. P. ["Její Pastorkyna"] hätte morgen den 25. in Prag gegeben werden sollen, aber daraus wird wieder nichts. Die Solisten aus Wien mit Kap. Reichenberger sollten kommen.
Hatten Sie schon Ihre Leipziger Premiere?
Der Klavierauszug aus J. P. wird wohl bald in den Läden sein. Herr Hertzka hat schon Ausgaben genug gehabt - ich meine, er erwartet jetzt einigen Gewinn.
Neulich wurde mein Orchesterwerk "Šumařovo díté" ["Des Spielmanns Kind"] in Prag gespielt; Ostrčil hat dirigiert. Ich war in Prag; war aber so aufgeregt darüber, dass ich vor der Probe ganz außer mir in Prag herumgelaufen bin. Nun, das Ergebnis war gut. Ich glaube Fibich, Foerster und Jeremiáš standgehalten zu haben. Der letztere hätte die Mauern von Jericho zertrümmern können. Sein Thema wurde 280mal im Werk wiederholt! Das reicht schon für den Kopf.
Mit respektvollen Empfehlungen an die gnädige Frau und Sie
freundlich grüßend
Ihr
Leoš Janáček
Brünn, 24. November 1917
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |