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[Stempel: (Flöhau,) 20. (10.17)]

[An: ] Herrn Dr Max Brod k.k. Postkoncipist Prag k.k. Postdirektion

[Abs.:] Dr Kafka Zürau P. Flöhau


Lieber Max, also möglichst wenig Störung von mir, wenn ich schon alle anderen nicht verringern kann:

    Das Aktionsheft habe ich, wie auch noch einiges andere, ich bringe Dir dann alles auf einmal. Jede Sendung macht mir große Freude. Der Eindruck des "Radetzkymarsches" war natürlich nicht derartig wie damals, als Du ihn fast gedichtmäßig vorgelesen hast. Aber auch sonst fehlt etwas darin. Hat es die Kürzung verschuldet? Das kann nicht gut sein. Der Haß steigt hinter dem Entzücken auf, aber man hat ihn nicht wachsen gesehn. Vielleicht ist der Raum für die antithetische Wendung nicht weit genug, vielleicht der Raum eines Herzens nicht.

    Das Teweles-Feuilleton ist wahrscheinlich für Kuh der übrigens letzthin recht miserabel-geistreich über Werfel geschrieben hat, bestimmt, als Lektion in der Zartheit. Undurchdringlich die Geistesverfassung, aus der etwas derartiges geschrieben wird. Und ich saß doch am Tisch dieses Rätsels, ganz nah bei ihm. - Besonders angemerkt habe ich mir, dass Goethe "nicht auch von Stein" war. Am peinlichsten ist aber das Ganze wahrscheinlich für die alte Dame, die geglaubt hatte, ein melancholisches Buch über die Frau von Stein geschrieben zu haben und der hier gezeigt wird, dass sie die ganze Zeit über, offenbar in der Tränenverwirrung, mit Goethes Hosen beschäftigt war.

    Das Komotauer Komitee hat mir die Reise nach Prag etwas erschwert, ich fahre natürlich trotzdem, vorläufig aber schicke ich Ottla aus, damit sie nachsieht "wie das Wasser steht". Ich komme dann Ende des Monats.

    Der Leitartikel der "Selbstwehr" könnte, was raschen Blick, Protestkraft und Kühnheit anlangt, fast von Dir sein, nur einige Stellen halten mich davon ab, es geradezu zu behaupten. Von Hellmann wahrscheinlich?

Herzlichst

Franz        
 



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Aktionsheft: Siehe Anm. 43 oben.


Kuh: Der Wiener Literat Anton Kuh (1891-1941) hatte im Feuilleton des Prager Tagblatt vom 10. Oktober 1917 unter dem Titel "Werfel-Matinée" eine Dichterlesung in Wien besprochen, an der Werfel teilgenommen hatte und wobei sein früher Einakter Der Besuch aus dem Elysium vorgetragen worden war.


die alte Dame: Ida Boy-Ed (1852-1928), deren Buch Das Martyrium der Charlotte von Stein, Stuttgart: Cotta 1916, Teweles kritisiert hatte (siehe Anm. 44 oben).


Hellmann: Albrecht Hellmann war das Pseudonym von Siegmund Kaznelson (1893-1959), der die Selbstwehr von 1913 bis 1917 mit kurzen Unterbrechungen ehrenamtlich leitete. Dort ist der betreffende Leitartikel am 12. Oktober 1917 unter dem Titel "Der Judenfriede" erschienen.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at