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Max Brod an Franz Kafka

[Prag, ca. 8.10.1917]


Lieber Franz -

Deinen entzückenden Schweine-Brief und den nächsten, den ich hier beantworte, erhalten. Würde ich nicht fürchten, dass ich dich dadurch beunruhige, so würde ich dir sagen, dass deine Briefe von großer Ruhe zeugen. Nun habe ich es schon gesagt, - ein Beweis, dass ich nicht einmal recht fürchte, dich könnte dies oder sonst etwas beunruhigen. Du bist in deinem Unglück glücklich.

    Felix böse? Nicht die geringste Spur. Er hat nur sehr viel Arbeit, Präparation für viele Stunden, die er zu geben hat. Er sagte neulich, dass er schon einen Brief an dich begonnen hat.

    Meine Reise. Ich fahre wahrscheinlich am übernächsten Samstag 2 Uhr hier ab (am 20. X.) und spreche am Samstag Abend und Sonntag Vormittag in Komotau. Möchtest du nicht hinkommen? - Ich habe Montag Nachmittagsdienst, könnte also wohl auch zu dir kommen, habe aber die Züge noch nicht recht nachgesehen. Sage es ungeniert, wenn du keinen Besuch magst. Du schreibst an Baum so etwas und ich verstehe es durchaus. - Wenn du nach Komotau kämest, wäre es vielleicht das Beste. Meine Frau wird dort ihre Glanznummer ("Rat" von Sch. Alechem) vortragen. Zieht das?

    Ich brenne darauf, dass du bald nach Prag kommst und mit mir zu Professor Pick gehst. Die Zunahme ist gut, der kurze Atem schlecht. Also unentschieden. Und das darf nicht sein. Du mußt jedenfalls ganz gesund werden. - Ich denke immer, man soll schon um des Teufels willen, den man in sich hat, ganz gesund sein, denn ein kranker Teufel ist doch ein gar zu schäbiger Anblick. Mästen wir die Ungeheuer, die wir sind! Auf diese Art stellen wir uns wenigstens ins volle Tageslicht und haben nicht die Ausrede, dass unsere Bösheiten als romantische Spukgestalten Schonung verdienen. - Und nebenbei wird ja vielleicht mit dem Gesundwerden doch auch die Macht Gottes in uns etwas kräftiger. Sollen wir nicht diese letzte Hoffnung behalten?

    Der Roman wächst und wird etwas ganz Anderes, als ich vorausgesehen habe. - Wenn du brav zur Stellung vor den Professor nach Prag kommst, lese ich dir ein Stück vor.

    Der "grinsende Tod", die 1. Strophe des 2. Liedes im 1. Akt und "Bange Inbrunst" sind Geistesblitze des Herrn Reichenberger. Das Übrige habe ich auf dem Gewissen. Die im Tschechischen sehr schönen Liedtexte scheinen also auch nicht so gelungen zu sein, wie ich gehofft habe. - Im Ganzen ist auch dieses eine unreine Arbeit geworden. Ich hätte noch gern die letzten Ecken abgeschliffen. Aber wenn man mir in Wien das Geschliffene und Ungeschliffene gleichmäßig versaut, verliert man am Ende die Lust. Der Richter will sagen: 1.) dass er ohne Zigarre die langweilige Besichtigung der Mitgift nicht überlebt hätte, 2.) dass er auch ohne Mitwirkung der Gelehrtenrichter, als Laie, das Verbrechen sieht. - Es sind auch sonst noch störende Fehler genug, aber an den meisten bin ich unschuldig. Das ist kein Trost.

Dein Max        
 


Liebes Fräulein Ottla - die Zeichnung war sehr instruktiv und schön, aber ein wirklicher Liegestuhl ist noch schöner, weil da die Brust freier und tiefer Atem holen kann, was in diesem Falle die Hauptsache ist.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Würde ich ... glücklich: Diese Stelle hat Kafka in seinem Brief an Felice Bauer vom 16. Oktober 1917 abgeschrieben und kommentiert (F 757f.).


Ich fahre . . . Komotau: Wie aus dem weiteren Briefwechsel hervorgeht, ist Brod erst am 27. Oktober nach dieser unweit von Zürau gelegenen Stadt gefahren, wo er im dortigen "Verein Theodor Herzl" einen Vortrag über die jüdische Kunst gehalten hat.


ihre Glanznummer ... Alechem: Elsa Brod ist verschiedentlich als Rezitatorin aufgetreten. Die humoristische Erzählung von Scholem Alejchem "Ein Rat" (aus dem Jiddischen übertragen von Nathan Birnbaum) war 1916 in Treue. Eine jüdische Sammelschrift, hrsg. Leo Herrmann, Berlin: Jüdischer Verlag, erschienen. An diesem Abend hat sie ebenfalls Max Brods Gedicht "Elegie an die abgefallenen Juden" und eine Geschichte von J. L. Perez vorgetragen.


Der Roman: "Das große Wagnis".


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at