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[Rekommandierter Brief. Stempel: Flöhau, 28.9.17]

[An:] Herrn Dr Max Brod Prag k.k. Postdirektion

[Abs.:] Dr Kafka Zürau Post Flöhau


Lieber Max das folgende ist nicht eine Bitte um Vermittlung, sondern ich hinterlege nur ein Bedenken in Dir:

    Ich habe Felix in einem ersten Brief eingeladen hierherzukommen, es war mir sehr ernst damit, ich freute mich, Felix paar Tage hier haben zu können, vor allem aber ihm Alleinsein zu verschaffen und, in vollster Einigkeit mit meiner Schwester (ohne sie oder ohne Einigkeit mit ihr bin ich in Lebensmittelfragen ganz hilflos) ihn ein wenig rundzufüttern. Da aber mit der Ehe die Lüge in die Welt gekommen ist, innen und außen (ich übertreibe hier absichtlich, denn in Wirklichkeit ist ja die Lüge mit mir auf die Welt gekommen) mußte ich in jenem Brief auch die Frau erwähnen und im Anhang auch sie einladen. Das war übrigens damals nicht einmal sehr verlogen, denn ich verstehe die Frau zwar nicht, kann mir sie aber seit jeher zurechtphantasieren und war überdies damals wie Du vielleicht auch aus meinem ersten Brief gesehen hast, in einer Laune, dass ich mir auch mehr als nur die Fähigkeit zu einem solchen Empfang zutraute. - Nun ist dann aber Felix in der Antwort gerade über das ursprünglich nur kleine Hindernis schwer gestolpert und hat geschrieben er könne ohne die Frau (es hieß sogar "Weib") nicht fahren. - Inzwischen habe aber ich mich ganz geändert, nicht in meinem Verhältnis zu Zürau, das bleibt gut, aber in meiner Fähigkeit zu unmittelbarem Verkehr mit Menschen. Es ist nicht Traurigkeit, es ist Gliederschwere, "courbature" lese ich jetzt immer wieder in einem französischen Buch. Es sind nicht Kopfschmerzen, im Gegenteil, der Kopf ist leicht, aber irgendwo in der Halsgegend ist ein Deckel zugefallen und darunter liegt und drückt es. Es ist seit F's Besuch. Solche Zeiten hatte ich auch in Prag, aber dort sieht man einen doch kaum jemals ganz und verzeiht leichter. Als Gastgeber (auch im allergeringsten Sinn etwa als Hand-Ausstrecker oder Sessel-Drücker) für Felix' Frau bin ich jetzt nicht möglich. - Deshalb habe ich jetzt an Felix, was die Einladung betrifft, etwa so geschrieben, wie es der deutsche Reichskanzler an meiner Stelle getan hätte. dass ich das auch bei Felix tun mußte, ist für mich eine Schande, ich klage es Dir vor und lege es zu dem Übrigen.

    Deine zweite Drucksachensendung bekam ich nur zufällig, der Bote hatte sie bei einem beliebigen Bauer liegen gelassen. Die Postzustellung ist hier sehr unsicher, auch die Bestellung meiner Briefe (vielleicht trägt dazu bei, dass unser Postort nicht einmal Bahnstation ist) es wäre gut, Du nummeriertest die Postsachen, durch Reklamieren bekommt man dann das Verlorene doch. Um die letzte Sendung wäre besonders schade gewesen; die chassidischen Geschichten im Jüdischen Echo sind vielleicht nicht die besten, aber alle diese Geschichten sind, ich verstehe es nicht, das einzige Jüdische, in welchem ich mich, unabhängig von meiner Verfassung, gleich und immer zuhause fühle, in alles andere werde ich nur hineingeweht und ein anderer Luftzug bringt mich wieder fort. Ich lasse mir die Geschichten vorläufig hier, wenn Du nichts dagegen hast.

    Warum hast Du die Bitte des Jüdischen Verlages oder gar die Bitte des Dr J. abgelehnt? Es ist natürlich ein großes Verlangen und Dein gegenwärtiger Zustand ein Einwand, aber reicht das zur Rechtfertigung der Ablehnung aus? - Die Aufsatzsammlung willst Du wohl nicht, weil alles für Esther bestimmt ist?

    Löwy schreibt mir aus einem Budapester Sanatorium, wo er für 3 Monate untergebracht ist. Er schickt mir den Anfang des Aufsatzes für den "Juden". Ich halte ihn für sehr gut brauchbar, aber natürlich erfordert er eine kleine grammatikalische Bearbeitung und diese wieder eine unmöglich zarte Hand. Ich werde Dir die Sache in Schreibmaschinenschrift (es ist ganz kurz) nächstens zur Beurteilung vorlegen. Beispiel für die Schwierigkeiten: Im Publikum des polnischen Teaters sieht er zum Unterschied von jenem des jüdischen Teaters: frakierte Herren und neglegirte Damen. Ausgezeichneter läßt sich das nicht sagen, aber die deutsche Sprache weigert sich. Und derartiges ist vieles; die Blender leuchten umso stärker, als ja seine Sprache zwischen Jiddisch und Deutsch schwankt und mehr zum Deutschen neigt. Hätte ich Deine Übersetzungskraft!


Franz        
 

Von den Rebhühnern ein Paar Dir, ein Paar Felix. Guten Appetit



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Felix: Felix Weltsch. Vgl. zu diesem Brief Kafkas Tagebucheintragung vom 15. Februar 1914: "Ich sagte bei Weltsch, um die aufgeregte Mutter zu trösten: "Ich verliere ja Felix durch diese Heirat auch. Ein verheirateter Freund ist keiner"" (T 362).


Geschichten im Jüdischen Echo: In der Münchener Zeitschrift Das Jüdische Echo (Bayerische Blätter für die jüdischen Angelegenheiten) wurde in verschiedenen Nummern zwischen dem 11. Mai und dem 21. September 1917 - unter dem Titel "Aus der Welt der Chassidim" - eine Reihe von Chaim Bloch gesammelter und verdeutschter Geschichten, Sprüche, Gleichnisse usw. veröffentlicht. Diesen "Kostproben aus den zerstreuten Chassidischen Büchern" hatte Bloch, der durch seine Schriften viel für die Popularisierung der Kenntnisse vom Chassidismus geleistet hat, eine geschichtliche Einleitung vorangestellt (Das Jüdische Echo, Jg. 1917, Nr. 17 [27. April], S. 197-200).


des Jüdischen Verlages: Der 1902 von Martin Buber mitgegründete und zwanzig Jahre von ihm geführte "Jüdische Verlag" in Berlin.


Aufsatzsammlung: Vermutlich hatte der "Jüdische Verlag" Brod um eine Sammlung seiner Aufsätze zu jüdischen Fragen gebeten. (In diesem Verlag ist z. B. die Aufsatzsammlung Hugo Bergmanns Jawne und Jerusalem 1919 erschienen.)


für Esther: Für das Werk, das später als Eine Königin Esther. Drama in einem Vorspiel und drei Akten, Leipzig: Kurt Wolff 1918, erschienen ist (siehe Kafkas Kommentar in seinem Brief vom 18./19. Dezember 1918).


Löwy . . . für den "Juden": Bei einer Ungarnreise mit Felice Bauer im Juli 1917 hatte Kafka seinen Freund Jizchak Löwy (siehe 1912 Anm. 1) in Budapest aufgesucht und ihn offenbar dazu ermuntert, einen autobiographischen Aufsatz zu schreiben, den Kafka-nachdem er ihn ins Hochdeutsche übertragen und redigiert hatte - in der Zeitschrift Der Jude veröffentlichen wollte. Der von Kafka redigierte Text ("Vom jüdischen Theater") wurde abgedruckt in H 154-159.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at