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[Tagebuch, 11. Mai 1916; Donnerstag]

11 V (1916) Also Brief dem Direktor übergeben. Vorvorgestern. Bat entweder falls Krieg im Herbst zuende ist um langen Urlaub für später undzwar ohne Gehalt oder falls der Krieg weitergeht um Aufhebung der Reklamation. Das war eine ganze Lüge. Halbe Lüge wäre gewesen, wenn ich um sofortigen langen Urlaub gebeten hätte und für den Fall der Verweigerung um Entlassung. Wahrheit wäre gewesen, wenn ich gekündigt hätte. Beides wagte ich nicht daher ganze Lüge.

Nutzlose heutige Unterredung. Direktor glaubt ich wolle die 3 Wochen des gewöhnlichen Urlaubs, die mir als Reklamiertem nicht gebüren, erpressen, bietet sie mir daher ohne weiters an, war dazu angeblich schon vor dem Brief entschlossen. Vom Militär spricht er überhaupt nicht, als stünde es nicht im Brief. Wenn ich davon spreche, überhört er es. Langen Urlaub ohne Gehalt findet er offenbar komisch; erwähnt es vorsichtig in diesem Ton. Drängt mich den 3 Wochenurlaub sofort zu nehmen. Macht Zwischeneinfügungen als laienhafter Nervenarzt, wie alle. Ich hätte doch keine Verantwortung zu tragen wie er, seine Stellung, die könnte allerdings krank machen. Wie viel habe er auch früher gearbeitet, als er sich zur Advokatursprüfung vorbereitete und gleichzeitig in der Anstalt Dienst tat. 9 Monate 11 Stunden Tagesarbeit. Und dann der Hauptunterschied. Hätte ich denn irgendwie und jemals für meine Stellung zu fürchten, er hätte aber diese Furcht gehabt. Er hätte Feinde in der Anstalt gehabt, die alles mögliche versucht hätten, um ihm sogar in dieser Weise den "Lebensast" zu durchschneiden, ihn zum alten Eisen zu werfen.

Von meinem Schreiben spricht er merkwürdigerweise nicht.

Ich schwächlich, trotzdem ich sehe dass es um mein Leben fast geht. Bleibe aber dabei, dass ich zum Militär will und dass 3 Wochen mir nicht genügen. Darauf verschiebt er die Fortsetzung der Unterredung. Wäre er nur nicht so freundlich und teilnehmend!

Ich werde an Folgendem festhalten: Ich will zum Militär, diesem 2 Jahre verhaltenem Wunsch nachgeben; aus verschiedenen Rücksichten die nicht meine Person betreffen, würde ich, wenn ich einen langen Urlaub bekäme, diesen vorziehn. Das ist aber wohl aus amtlichen wie militärischen Rücksichten unmöglich. Unter langem Urlaub verstehe ich - der Beamte schämt sich es zu sagen, der Kranke nicht - ein halbes oder ein ganzes Jahr. Ich will keinen Gehalt, weil es sich nicht um eine organische zweifellos feststellbare Krankheit handelt.

Das alles ist Fortsetzung der Lüge, kommt aber in der Wirkung, wenn ich konsequent bleibe, der Wahrheit nahe.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at