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[Tagebuch, 20. April 1916; Donnerstag]

20 (April 1916) Auf dem Gang kam ihm die Hauswirtin mit einem Brief entgegen. Er prüfte das Gesicht der alten Dame, nicht den Brief und öffnete ihn unterdessen. Dann las er: "Sehr geehrter Herr. Seit einigen Tagen wohnen Sie mir gegenüber. Eine starke Ähnlichkeit mit einem alten guten Bekannten macht Sie mir merkwürdig. Bereiten Sie mir das Vergnügen und besuchen Sie mich heute nachmittag. Mit Gruß Louise Halka. " "Gut" sagte er sowohl zur Hauswirtin die noch vor ihm stand als auch zum Brief. Es war eine willkommene Gelegenheit eine vielleicht nützliche Bekanntschaft in dieser Stadt zu machen in der er noch ganz fremd war. "Sie kennen Frau Halka" fragte die Wirtin, während er nach dem Hut langte. "Nein" sagte er fragend. "Das Mädchen, das den Brief brachte, ist ihre Dienerin" sagte die Wirtin wie zur Entschuldigung. "Das mag sein" sagte er, unwillig über die Teilnahme und beeilte sich aus der Wohnung zu kommen. "Sie ist eine Witwe" hauchte ihm die Wirtin von der Schwelle noch nach.

Ein Traum: Zwei Gruppen von Männern kämpften mit einander. Die Gruppe zu der ich gehörte, hatte einen Gegner einen riesigen nackten Mann gefangen. Fünf von uns hielten ihn einer beim Kopf, je zwei bei den Armen und Beinen. Leider hatten wir kein Messer ihn zu erstechen, wir fragten in der Runde eilig, ob ein Messer da sei, keiner hatte eines. Da aber aus irgendeinem Grunde keine Zeit zu verlieren war und in der Nähe ein Ofen stand, dessen ungewöhnlich große gußeiserne Ofentüre rotglühend war, schleppten wir den Mann hin, näherten einen Fuß des Mannes der Ofentüre, bis er zu rauchen begann, zogen ihn dann wieder zurück und ließen ihn ausdampfen, um ihn bald neuerlich zu nähern. So trieben wir es gleichförmig, bis ich nicht nur im Angstschweiß, sondern wirklich zähneklappernd erwachte.

Hans und Amalia, die zwei Kinder des Fleischers, spielten mit Kugeln an der Mauer des Magazins, eines großen alten festungsartigen Steinbaues, der mit seinen 2 Reihen stark vergitterter Fenster sich weithin am Flußufer dehnte. Hans zielte vorsichtig, prüfte Kugel Weg und Grube ehe er den Stoß abgab, Amalia hockte bei der Grube und klopfte mit den Fäustchen vor Ungeduld auf den Boden. Plötzlich aber ließen beide von den Kugeln ab, standen langsam auf und ' sahen das nächste Magazinsfenster an. Man hörte ein Geräusch wie wenn jemand eine der kleinen trüben dunklen Scheiben des vielgeteilten Fensters reinzuwischen suche, es gelang aber nicht und nun wurde sie entzweigeschlagen ein mageres scheinbar grundlos lächelndes Gesicht erschien undeutlich in dem kleinen Viereck, es war wohl ein Mann und er sagte "Kommt Kinder kommt. Habt Ihr schon ein Magazin gesehn?" Die Kinder schüttelten die Köpfe, Amalia sah erhitzt zum Mann auf, Hans blickte nach rückwärts, ob Leute in der Nähe wären, aber er sah nur einen Mann, der gleichgültig gegen alles mit gebeugtem Rücken einen schwer beladenen Karren das Quaigeländer entlang schob. "Dann werdet Ihr aber wirklich staunen" sagte der Mann, sehr eifrig als müsse er durch Eifer die Ungunst der Verhältnisse überwinden, die ihn mit Mauer Gitter und Fenster von den Kindern trennten. "Jetzt aber kommt. Es ist höchste Zeit." "Wie sollen wir hineinkommen" sagte Amalia. "Ich werde Euch die Tür zeigen" sagte der Mann. "Folgt mir nur, ich gehe jetzt nach rechts und werde an jedes Fenster klopfen." Amalia nickte und lief zum nächsten Fenster, wirklich klopfte es dort und so auch bei den Folgenden. Aber während Amalia dem fremden Mann gehorchte und ihm gedankenlos nachlief wie man etwa einem Holzreifen nachlauft, gieng Hans nur langsam hinterher. Ihm war nicht wohl zumut, das Magazin, das zu besuchen ihm bisher niemals eingefallen war, war gewiß sehr sehenswert, aber ob es wirklich erlaubt war hinzugehn, war durch die Einladung eines beliebigen Fremden noch durchaus nicht erwiesen. Es war eher unwahrscheinlich, denn wenn es erlaubt gewesen wäre, dann hätte ihn doch der Vater gewiß schon einmal hingeführt, da er nicht nur ganz in der Nähe wohnte, sondern sogar im weiten Umkreis alle Leute kannte, von ihnen gegrüßt und mit Ehrerbietung behandelt wurde. Und nun fiel Hans ein, dass dies also auch von dem Fremden gelten müsse, er lief um dies festzustellen Amalia nach und erreichte sie, als sie und mit ihr der Mann bei einer kleinen gleich unten am Erdboden befindlichen Tür aus Eisenblech Halt machten. Es war wie eine große Ofentüre. Wieder schlug der Mann beim letzten Fenster eine kleine Scheibe ein und sagte: "Hier ist die Tür. Wartet einen Augenblick, ich werde die Innentüren öffnen. " "Kennen Sie unsern Vater?" fragte Hans sofort, aber das Gesicht war schon verschwunden und Hans mußte mit seiner Frage warten. Nun hörte man, wie tatsächlich die Innentüren geöffnet wurden. Zuerst kreischte der Schlüssel kaum hörbar, dann lauter und lauter in nähern Türen. Das hier durchbrochene dicke Mauerwerk schien hier durch viele eng aneinanderliegende Türen ersetzt zu sein. Endlich öffnete sich auch die letzte nach innen, die Kinder legten sich auf den Boden um hineinsehn zu können und dort war nun auch das Gesicht des Mannes im Halbdunkel. "Die Türen sind offen, also kommt. Nur flink nur flink." Mit einem Arm drückte er die vielen Türplatten an die Wand. Als wäre Amalia durch das Warten vor der Tür ein wenig zur Besinnung gekommen, schob sie sich jetzt hinter Hans und wollte nicht die erste sein, ihn aber stieß sie nach vorn, denn mit ihm wollte sie sehr gerne ins Magazin. Hans war ganz nahe der Türöffnung, er fühlte den kühlen Anhauch, der aus ihr kam, er wollte nicht hinein, nicht zu dem Fremden, nicht hinter die vielen Türen, die zugesperrt werden konnten, nicht in das kühle alte riesige Haus. Nur weil er schon hier vor der Öffnung lag, fragte er: "Kennen Sie unsern Vater?" "Nein" antwortete der Mann "aber kommt schon endlich, ich darf nicht so lange die Türen offen lassen. " "Er kennt unsern Vater nicht" sagte Hans zu Amalia und stand auf; er war wie erleichtert, nun würde er gewiß nicht hineingehn. "Ich kenne ihn aber doch" sagte der Mann und schob den Kopf in der Öffnung weiter vor "natürlich kenne ich ihn, der Fleischer, der große Fleischer bei der Brücke, ich selbst hole dort manchmal Fleisch, glaubt Ihr, ich würde Euch ins Magazin einlassen, wenn ich nicht Euere Familie kennen würde?" "Warum hast Du zuerst gesagt, dass Du ihn nicht kennst" fragte Hans und hatte sich die Hände in den Taschen schon ganz vom Magazin abgewendet. "Weil ich hier in dieser Lage keine langen Gespräche zu führen wünsche. Kommt erst herein, dann kann man über alles sprechen. Im übrigen mußt Du Kleiner gar nicht hereinkommen, im Gegenteil ich bin lieber wenn Du mit Deinem ungezogenen Benehmen draußen bleibst. Deine Schwester aber die ist vernünftiger, die kommt und wird willkommen sein. " Und er streckte Amalie die Hand entgegen. "Hans" sagte Amalia während sie ihre Hand der fremden Hand näherte, ohne sie aber noch zu fassen. "Warum willst Du nicht hineingehn?" Hans, der nach der letzten Antwort des Mannes auch keine deutliche Ursache für seine Abneigung anführen konnte, sagte nur leise zu Amalia: "Er zischt so. " Und tatsächlich zischte der Fremde nicht nur beim Reden sondern auch wenn er schwieg. "Warum zischt Du" fragte Amalia, die zwischen Hans und dem Fremden vermitteln wollte. "Dir Amalie antworte ich" sagte der Fremde. "Ich habe einen schweren Atem es kommt von dem ununterbrochenen Aufenthalt hier in dem feuchten Magazin, auch Euch würde ich nicht raten lange hier zu bleiben, aber für ein Weilchen ist es eben außerordentlich interessant. "

"Ich gehe" sagte Amalia und lachte, sie war schon ganz gewonnen, "aber" fügte sie dann wieder langsamer hinzu Hans muß auch mitkommen. Natürlich sagte der Fremde, hopste mit dem Oberkörper hervor, faßte den vollständig überraschten Hans bei den Händen so dass dieser gleich niederfiel und zog ihn mit aller Kraft ins Loch hinein. "Hier gehts herein mein lieber Hans" sagte er und schleppte den sich wehrenden und laut schreienden mit sich ohne Rücksicht darauf dass ein Rockärmel von Hans an den scharfen Kanten der Türen in Fetzen gieng. "Mali" rief plötzlich Hans, - er war schon mit den Füßen im Loch, so rasch gieng es trotz allen Widerstandes - "Mali, hol den Vater, hol den Vater, ich kann nicht mehr zurück, er zieht mich so stark. " Aber Mali, ganz verwirrt durch das rohe Eingreifen des Fremden, überdies ein wenig schuldbewußt, denn sie hatte ja zu der Untat gewissermaßen aufgefordert, schließlich aber doch auch sehr neugierig wie sie es von allem Anfang an gewesen war, lief nicht weg, sondern hielt sich an Hansens Füße an, und ließ

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